Johann Georg Gsteu (1927-2013): Tabernakel der Pfarrkirche Oberbaumgarten in Wien (1965)
Die Wiener römisch-katholische Pfarrkirche Oberbaumgarten (auch Seelsorgezentrum am Baumgartner Spitz genannt), ist den vier Evangelisten Johannes, Lukas, Matthäus und Markus geweiht. Ein Höhepunkt der Erstausstattung, die heute wie der gesamte Bau als Beispiel für den Brutalismus-Baustil bereits unter Denkmalschutz steht, ist ein Tabernakel aus transparentem Polyester. Das Kunstwerk wurde damals als modern und „kalt“ empfunden, es gab in der Presse eine Diskussion um den Grad der Abstraktion im Sakralbau. Die kubische Form und das goldfarbene Licht, das durch das Acrylglas scheint, evozieren das Himmlische Jerusalem. In das Quadrat wurde ein Zylinder eingeschoben, in dem die Hostien aufbewahrt sind. Das Kunstwerk rechts vom Altar ist vom Architekten der Kirche angefertigt worden, Prof. Johann Georg Gsteu (1927-2013) und gilt als eines seiner Hauptwerke. Er war damit seiner Zeit weit voraus, das zeigt ein Vergleich mit einer Arbeit von Hermann Jünger 1985.
Der Tabernakel wurde 1965 zur Weihe am 19. Dezember 1965 gegossen. Gsteu erklärt das Werk wie folgt: „Die quadratische Form war nicht zu diskutieren, schon die ersten spontanen Überlegungen basierten auf dieser Grundfigur. Ich wollte keinesfalls eines dieser Kästchen mit Engelchen und Flügeltüren; sondern es sollte etwas Erhabenes, Feierliches werden. Das Material Plexiglas war ja in den 1960er Jahren ganz groß; wir sahen da neue Möglichkeiten, die in Bronze oder Gold unmöglich waren. Der Kubus steht auf Stein, womit ein maximaler Kontrast möglich wurde zwischen der unteren irdischen Welt und der Lichtsphäre. Zu der Stele kam es auf Wunsch des Bistums (…). Der ursprüngliche Entwurf sah vor, den Plexiglas-Kubus frei im Raum aufzuhängen. Aus liturgischen Gründen wurde das verworfen, und heute bin ich froh, dass wir zu dieser Synthese zwischen Standfestigkeit und dem Numinosen gekommen sind“.
Ann Katrin Bäumler, Andreas Zeese (Hrsg.): Wiener Kirchenbau nach 1945 – Von Rudolf Schwarz bis Heinz Tesar, Wien 2007.
Claudia Enengl: Johann Georg Gsteu. Architektur sichtbar und spürbar machen, Salzburg 2010.