Diese bebilderte Apokalypse wurde für den Herzog von Savoyen hergestellt. Zunächst arbeitete Jean Bapteur zwischen 1428 und 1434 daran, die Illustrationen anzufertigen, zusammen mit Peronet Lamy, der den ornamentalen Buchschmuck beisteuerte. Erst etwa fünfzig Jahre später, um 1490, wurde die Arbeit von Jean Colombe auf Wunsch von Herzog Charles I. abgeschlossen. Der Band besteht aus 49 Blättern mit 97 Illustrationen im Stil der französischen Spätgotik, geschmückt mit breiten Rändern und goldenen Initialen. 1599 gelangte die kostbare Handschrift in den Besitz von Philipp II. von Spanien, der sie in den Escorial brachte, wo sie in der Klosterbibliothek San Lorenzo noch heute aufbewahrt wird.
Die Miniatur der Rückseite fol. 45v zeigt Johannes auf Patmos links und das Himmlische Jerusalem rechts. Auffällig an dieser einzigartigen Jerusalemdarstellung sind die prächtigen kristallinen Edelsteine, die das Fundament der Stadt ausmachen und gut zur sonstigen Farbenpracht der Handschrift passen. Mit ihren Erkern, Zinnen und Türmen erinnert die Stadt auch an gotische Schlösser an der Loire, die in Savoyen sicher bekannt waren.
Vor der Stadt heben sich durch ihre weißen Gewänder zwei Engel mit Weihrauchfässern vom hellblauen Hintergrund ab, von denen einer Johannes auf die Stadt verweist. Diese erscheint nicht in der Ferne, sondern unmittelbar vor seinem Angesicht, so dass er die Stadt, im Gegensatz zum Betrachter, nicht im Ganzen erfassen kann. Doch selbst für den Bildbetrachter ist die Stadt nur teilweise sichtbar und stößt gegen den Bildrand rechts. Es gibt zu dieser Stadtgestaltung außer den Erbachsche Tafeln von 1332/34 keine weitere Vorlage, kein Vorbild, keine Tradition, sondern das Werk ist eine originäre Neuschöpfung von Colombe.
Auf der Rückseite (fol. 45r) ist eine weitere Jerusalems-Darstellung zu finden. Die Stadtmauer ist ganz ähnlich gehalten wie auf der Illustration zuvor, womit klar werden sollte, dass es sich um die gleiche Stadt handelt. Bei diesem Bild ist jedoch vor der Stadt die Hölle zu sehen, in deren Flammen Menschen gequält werden, darunter auch links die Hure Babylon. Die Hitze ist so gewaltig, dass selbst die Felsen brennen und einzelne Flammen sogar das Fundament des Neuen Jerusalem berühren – eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Es ist letztlich eine Gerichtsszene, mit Christus als Richter in einer Mandorla rechts oben.
Ludwig Klaiber: Die Bibliothek des Escorial, in: Sankt Wiborada, 1, 1933, S. 46-49.
L’Apocalypse figureé des ducs de Savoie. Ms Escurial E. Vitr. V, Annecy 1969.
Apocalipsis figurado de las duques de Saboya: Latin. Codex Vitrina 1, Madrid 1980.
Laurence Rivière Ciavaldini: Jean Colombe entre Naples et la Savoie. À propos de l’Apocalypse des ducs de Savoie, in: Arte Cristiana, 88, 2000, S. 181-200, S. 259-268.