Mit insgesamt 48 Kerzen war der Leuchter in der romanischen Kirche der Comburg über Jahrhunderte vermutlich die einzige künstliche Lichtquelle. Er wurde um 1130 hergestellt und zählt mit den Leuchtern in Hildesheim und Aachen zu den großen romanischen Leuchtern, von denen es wohl Hunderte gab, von denen aber lediglich vier die Jahrhunderte überdauert haben.
Unter dem Humanisten Erasmus Neustetter (1523-1594) wurde der Jerusalemsleuchter umfassend restauriert. Neustetter musste sich intensiv mit diesem Kunstgegenstand beschäftigt haben. Während seine Kollegen romanische Kunst aus den Burgen und Kirchen entfernten, ließ Neustätter 1570 eine umfangreiche Instandsetzung des verrotteten Radleuchters durchführen. Er wurde mit einem goldfarbenen Ölanstrich versehen und wieder an seinen prominenten Platz im vorderen Mittelschiff über dem heutigen Kreuzaltar angebracht.
Der Leuchter kommt auf fünf Meter Durchmesser und besteht aus vergoldetem und versilbertem Kupferblech. Auf den Bändern zwischen den Kerzen sind 144 Pflanzenmotive angebracht, die jedoch wegen der Distanz kein Betrachter vom Kirchenschiff aus erkennen konnte. Gut sichtbar sind hingegen die zwölf Tore des Himmlischen Jerusalem, die überwiegend mit Wächterfiguren – Bischöfen, Engeln, Kriegern – ausgestattet sind. Insgesamt kann man 412 Figuren finden, darunter sogar Jäger und Philosophen. Dazwischen sind auf zwölf Medaillons die alttestamentlichen Propheten dargestellt.
Der Kronleuchter Kaisers Friedrich Barbarossa im Karolingischen Münster zu Aachen und die formverwandten Lichterkronen zu Hildesheim und Comburg, Leipzig 1864.
Franz X. Mayer: Beschreibung der Stiftskirche in Comburg, in: Archiv für christliche Kunst 19, 11, 1901, S. 86-88.
Elisabeth Schraut (Hrsg.): Die Comburg. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, Sigmaringen 1989.
Der Restaurator und Retter:
Die Eltern Sebastian Neustetter und Elisabeth von der Wolmershausen entstammten aus fränkischem ritterlichem Adelsgeschlecht. Pankratz Neustetter (1510-1557) und Ernst Neustetter (gest. 1565) sind Brüder des Erasmus Neustetter, Johann Christoph Neustetter (1570-1638) ist sein Neffe. Wie alle Verwandten dieser Familie wurde auch Erasmus mit dem Beinamen „Stürmer“ versehen, welcher der Familie anlässlich der Erstürmung einer Burg als kaiserliche Auszeichnung verliehen worden sein soll. Erasmus Neustetter wuchs im Hause des Würzburger Domherrn Daniel Stiebar von Buttenheim (1503-1555) auf. Hier lernte er Lateinisch, Italienisch und Französisch. Das Altgriechische brachte er sich, ungewöhnlich für seine Zeit, erst wesentlich später selbst bei. Zwischen 1540 und 1543 unternahm er Bildungsreisen nach Italien, Frankreich und in die Niederlande. Am 17. Dezember 1540 schrieb er sich an der Universität zu Leiden ein, drei Jahre später an der Universität zu Bologna. Einen akademischen Grad hat er an keiner dieser Universitäten erworben.
Bemerkenswert sind seine kirchliche Laufbahn und die Vielzahl seiner Ämter. Am 12. Februar 1538 wurde er Domizellar im adeligen Ritterstift St. Burkhard, am 23. Dezember 1544 trat er in das dortige Kapitel ein. 1544 erfolgte die Weihe zum Subdiakonat durch den Würzburger Bischof Georg Flach (gest. 1564). Neustätter war freiwillig dem Klerikerstand beigetreten, was als ein Zeichen seiner aufrichtigen Frömmigkeit gedeutet werden darf. Am 9. April 1545 wurde er Domizellar in Würzburg, 1552 Domkapitular. Schon nach zwei weiteren Jahren wurde er in den Fürstbischöflichen Kammerrat, ein städtisches Finanzgremium, berufen und war dort eines der jüngsten Mitglieder. Von 1559 bis 1564 war er auch Landrichter des kaiserlichen Landgerichts zu Würzburg. Im Auftrage seines Fürsten unternahm er wichtige Gesandtschaftsreisen, so in Sachen des Markgräflerkriegs 1553 und während der Grumbach’schen Händel 1563. 1564 wurde er vom Domkapitel zum Dekan gewählt. Während seiner Amtszeit wurden die Verwaltung effizienter strukturiert und finanzielle Reformen durchgeführt. 1567 wurde er Mitglied des Geheimen Rates und war jetzt an den Staatsgeschäften des Fürstentums unmittelbar beteiligt. Er wirkte dort bis 1570. 1553 schrieb er sich formal als Mitglied in die Bruderschaft „Maria dell’Anima“ zu Rom ein. Ein Jahr darauf reiste er mit Paulus Neudecker nach Rom, um die Permission zu erlangen, die Klöster der Würzburger Diözese zu visitieren und zu reformieren. Nach der Billigung durch Papst Julius III. (1487-1555) am 15. April 1554 wurde Neustetter Mitglied der neugebildeten Visitationskommission und führte die Visitationen erfolgreich durch. 1559 wurde er Propst des Stiftes Haug. Er bemühte sich in diesem Amt um die rechtliche Klärung der Streitigkeiten zwischen einzelnen Ortschaften des Stiftes und straffte die Verwaltung. Für einzelne Orte legte er Standbücher an und besorgte 1579 ein Kopialbuch, in dem die Rechte und Pflichten des Stiftes aufgeführt waren. In Rottendorf gründete er eine Lateinschule. Seit dem 8. Februar 1561 war er auch Domdechant in Bamberg. Am 27. Januar 1565 wurde er zum Propst des bürgerlichen Chorherrenstiftes St. Gangolf zu Bamberg ernannt. Auch hier wurde er verwaltungsreformerisch tätig, er legte noch im Jahr seiner Ernennung ein Lehenbuch, ein Urbarregister und ein Zinsregister an. Von 1589 bis 1591 war er Rektor der Universität Würzburg, ohne jedoch seinen permanenten Wohnsitz, die Comburg, zu verlassen. Ausschlaggebend waren hierbei nicht Differenzen mit dem in Würzburg residierenden Fürstbischof, sondern gesundheitliche Gründe. Schon mit dem Fürstbischof Friedrich von Wirsberg (regierte 1558-1573), der die Jesuiten nach Würzburg rufen wollte, stand er in einem Spannungsverhältnis. Nach dem Einzug der Jesuiten legte Neustetter sein Amt als Domdechant im Frühjahr 1570 nieder. Ob die Jesuiten dafür ausschlaggebend waren, kann anhand der Quellen nicht nachgewiesen werden. Als pauschaler „Jesuitengegner“ kann Neustetter jedoch nicht gelten. Nach Wirsbergs Tod am 12. November 1573 wurde Julius Echter von Mespelbrunn (1544-1617) Fürstbischof, dem Neustetter nicht weniger distanziert gegenüberstand. Bei der Wahl zum Fürstbischof hatte Neustetter zwei, Julius von Echter, der von der römischen Kurie und dem Haus Wittelsbach unterstützt wurde, dagegen elf Stimmen erhalten. In den folgenden Jahren verabschiedete Neustätter sich mehr und mehr aus der Tagespolitik. Sein neues Ziel war die Gelehrsamkeit auf der Comburg. Schon 1545 war Neustetter Stiftsherr des Ritterstiftes Comburg geworden, seit dem 18. März 1551 war er der dortige Dechant. Ab dem 10. März 1583 war er Propst des Comburger Stiftes. Seit Mitte der siebziger Jahre des 16. Jahrhunderts hielt er sich fast ganzjährig auf seinem Anwesen auf. Gelegentliche Reisen nach Karlsbad und Bayern, nach Schwalbach und Wiesbaden dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass er das eigentliche Machtzentrum des Bistums verlassen hatte. Doch Neustetter blieb auf der Comburg nicht untätig, im Gegenteil: Auf der Burg wurde schon ab 1560 versucht, durch Ummauerung und Turmbauten das Bild des Himmlischen Jerusalem visuell umzusetzen. Mit den beiden Seitentürmen des Chores der Kirche kommt die Anlage auf zwölf Türme, die sich um die ovale Burganlage ziehen. Das Bild der Gottesstadt hatte Neustetter täglich vor Gesicht, wenn er in der Stiftskirche der Comburg während der Messen den romanischen Radleuchter betrachtete. Geplant war auch, den Kreuzgarten als umfangreichen „Paradiesgarten“ umzugestalten, doch dem standen Kostengründe entgegen. Um die Bautätigkeit zu finanzieren, führte er auf der Comburg finanzielle und bürokratische Reformen durch und stellte die Wirtschaft des Stiftes auf eine solide Grundlage. Dazu berief er eigens Rasso Gotthardt als Syndicus. Das Baupensum war beträchtlich: Zwischen 1560 und 1575 wurde eine zweite Toranlage errichtet, die Stiftskirche und weitere Klostergebäude wurden mit Fresken versehen. Neu aufgezogen wurde die Alte Dekanei, der Adelmannbau, der Gebsattelbau und der Wamboldbau. In diese Zeit fiel auch die Restaurierung des Radleuchters, freilich mit den damaligen technischen Möglichkeiten.
Neustetter hatte nicht nur den Bauwurm, er war auch bibliophil. Auf der Comburg richtete er eine bedeutende humanistische Gelehrtenbibliothek ein, zu der er 1572 die Buchsammlung des Oswald von Eck (gest. 1573) erwarb. Reste dieser einzigartigen Sammlung von Zimelien, Inkunabeln und Handschriften werden heute in der Württembergischen Landesbibliothek (Stuttgart) verwahrt. Zu seinem Gelehrtenzirkel zählten Petrus Lotichius Secundus (1528-1560), Joachim Camerarius (1500-1574), Paul Melissus (i. e. Paul Schede, 1539-1602), Johann Posthius (1537-1597), Franciscus Modius (1556-1597) und Johannes Franciscus Ripensis (1532-1584). Diese Literaten wurden durch Bücherkauf, Stipendien und Reisekostenzuschüsse von Neustetter großzügig unterstützt. Einen Unterschied in der Konfession machte Neustetter dabei nicht, als Ireniker war ihm die Qualität künstlerischen Schaffens wichtiger als die Konfessionszugehörigkeit. Die Literaten dankten es Neustetter mit zahlreichen ihm gewidmeten Werken, Lobpreisungen oder Gelegenheitsgedichten. Neustetter förderte auch Musiker, so etwa den Komponisten Blasius Tribauer. Den Orgelmeister Caspar Eckstein beauftragte er, 1581 in der Stiftskirche zu Comburg eine neue Orgel aufzustellen. Selbst von katholischer Frömmigkeit durchdrungen, beteiligte sich Neustetter innerhalb seiner Territorien nicht an den Rekatholisierungsmaßnahmen. Auf der Comburg soll zeitweise sogar der Gottesdienst eingestellt worden sein, und Julius von Echter warf ihm posthum mangelnden Eifer in (katholischen) Glaubensangelegenheiten vor. Zeitlebens ist es aber zwischen Neustetter und Echter nicht zu offen ausgetragenen Feindseligkeiten gekommen. Am 21. und 22. Juni 1582 hielt sich Echter, der sich auf der Reise zum Reichstag nach Augsburg befand, auf der Comburg auf, vielleicht, um alte Streitigkeiten zu beseitigen.
Begraben ist Neustetter im Würzburger Dom, wo er am 7. Dezember 1594 beigesetzt wurde. Die erhaltene Leichenpredigt hielt der Jesuit Nicolaus Serarius (1555-1609). Durch Neustetters Testament wurde ein Stipendium für jeweils vier mittellose Theologiestudenten eingerichtet. Der Bibliothek des Würzburger Jesuitenkollegiums vermachte er 1.000 Gulden. Eine bronzene Grabplatte und ein kalksteinernes Epitaph des Künstlers Erhard Barg (1544 – nach 1587) erinnern im Dom an den Humanisten. Ein weiteres Denkmal, vermutlich ebenfalls von Erhard Barg gefertigt, das ursprünglich in der Kirche St. Bartholomäus zu Hollfeld aufgestellt war, ist heute im Bamberger Diözesanmuseum zu finden.