Volksbilderbibeln (1835 und 1839)

Die politische Restauration nach 1815 und der Neupietismus des 19. Jahrhunderts verstärkten den Wunsch nach einer heilen christlichen Welt. Gerade das Biedermeier hat dann im Bereich der Graphik biblische Szenen hervorgebracht, die an Süßlichkeit kaum mehr zu überbieten sind. Die Zeitgenossen waren begeistert, die Auflagen gingen durch die Decke, nicht zuletzt auch durch die vielen Bibelgesellschaften und die zunehmende Afrika- und Asienmission. Die vorliegende Ausgabe erschien 1835 und erneut 1837, 1844 und 1852 bei dem Verlag Julius Baumgärtner in Leipzig und wurde mit weit über 500 Abbildungen opulent ausgestattet. Der Titel dieser Prachtbibel lautete vollständig: „Allgemeine, Wohlfeile Volks-Bilderbibel oder die ganze heilige Schrift des alten und neuen Testaments, nach der Uebersetzung Dr. Martin Luther’s“.
Die Begeisterung des 19. Jahrhunderts für das palästinensische Jerusalem und die Jerusalemmission wirkte sich dahingehend aus, dass hier die Abbildung des Himmlischen Jerusalem auf Seite 304 eher nach dem irdischen Jerusalem gestaltet wurde als nach der Beschreibung in der Johannesoffenbarung. Das göttliche Licht bricht sich Bahn und lässt höher gelegene Teile der Stadt erscheinen, während andere Teile noch im Nebel oder Dunkel liegen. Die Türme der Stadt ähneln italienischen Festungsanlagen, wie etwa dem Castello del Verginese oder Sirmione.
Auf einem Turm sieht man einen Engel mit extrem spitz zulaufenden Flügeln, dem gegenüber ein weiterer Engel Johannes die Stadt zeigt. Der Engel hat den verklärten Betrachter an die Hand genommen, was gut zu der romantischen Stimmung des Gesamteindrucks passt. Während Rahmungen bei protestantischen Bibeldrucken nur sehr selten eine besondere Rolle einnahmen, hat hier der Rahmen fast ein ebensolches Gewicht wie das, was er umschließt.

In den Girlanden kann man Szenen aus dem Leben Jesu erkennen, wie oben das Tragen des Kreuzes und unten die Kreuzesabnahme. Dominierend sind die beiden Personen zur rechten und linken Bildseite. Es handelt sich um frömmelnde Pietisten, zu erkennen an der einfachen, schmucklosen Kleidung, am Bart des Mannes, den geschlossenen Augen sowie an den gefalteten Händen der Frau. Diese Rahmengestaltung findet sich nicht allein hier, sondern auf allen Kupferstichen dieser Bibelausgabe ab dem Lukasevangelium. An den Stichen der Volksbibel haben viele Künstler mitgewirkt, wie hier etwa ein gewisser Levasseur (Signatur unten links). Möglicherweise ist es eine Arbeit des bereits verstorbenen Jean-Charles Levasseur (1734-1816). Dieser war an zahlreichen Buchillustrationen beteiligt und man sagt ihm nach, dass er sich vielen gewünschten Stilen anpassen konnte.

 

Eine weitere Ausgabe der Volksbilderbibel („Historische Volks-Bilder-Bibel aus dem alten und neuen Testament für katholische Christen: Neues Testament“, Grätz 1839, S. 543) wurde mit 180 Holzschnitten ausgestattet. Obwohl diese Ausgabe für Katholiken vorgesehen war, scheint der gleiche Künstler wie bei der Volksbilderbibel von 1835 mit am Werke gewesen zu sein. Vor allem die Architektur der Gottesstadt und die Physiognomie der Person erinnert stark an die 1835er Ausgabe, wenngleich auch die Akronyme A. B. und F. auf einen oder mehrere andere Künstler deuten.

 

tags: Illustration, Prachtbibel, Bibelausgabe, Kupferstich, Neupietismus, Mission
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