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Ikone „Kirche auf dem Kreuzzug“ (um 1555)

Etwa im Jahre 1555 wurde eine horizontal ausgerichtete Ikone (insg. 396 x 133 Zentimeter) vollendet, die in der Literatur später als „Die Kirche auf dem Kreuzzug“ oder „Die streitbare Kirche“ etwas bekannter wurde. Das sakrale Kunstwerk stand einst in der Mariä-Entschlafens-Kathedrale im Moskauer Kreml; heute befindet es sich in der Tretjakow-Galerie, ebenfalls in Moskau. Sie wurde mit Eierfarben auf Holz gemalt.
Die Ikone macht ihrem Namen alle Ehre: Die Tafel ist überzogen mit Kampfesgewühl und bewaffneten Rittern. Das Hmimlische Jerusalem oben links ist durch einen vierfachen konzentrischen Nimbus (eine Mischung zwischen Mandorla und Regenbogen) von diesen Kampfszenen abgegrenzt. Auf einem felsigen Hügel stehen drei Tortürme, die die Kenntnis italienischer Vorbilder vermuten lassen, nämlich die Darstellung des Neuen Jerusalem in der römischen Basilika S. Giovanni in Laterano aus dem späten 13. Jahrhundert (Original Verlust, Kopie vorhanden). Rechts von diesen drei Toren erscheint Maria mit dem Jesuskind, das von einem Engel eine gerettete Seele empfängt. Hinter dieser Szene steht ein Rundbau, der das eigentliche Neue Jerusalem darstellen soll. Die linke Seite ist rot, die rechte Seite blau; dazwischen schiebt sich ein mit Bäumen bewachsener Felskeil, zu dessen Fuß der Fluss des Lebens entspringt und sich nach unten schlängelt.

 

Bis heute gibt es von dem Ikonentyp „Kirche auf dem Kreuzzug“ Varianten und Neufassungen. Eine frühe einfache Variante von circa 1565 befindet sich im Staatlichen Museum des Moskauer Kreml. Sie befand sich einst in der Gruft des Fürsten Sergej Alexandrowitsch im Tschudow-Kloster des Moskauer Kreml. Die Gesamtgröße beträgt 65 x 41 Zentimeter, das runde Himmlische Jerusalem ist im Durchmesser nicht größer als 8 Zentimeter. Die konzentrischen Kreise sind bis auf einen schwarzen Ring zusammengeschrumpft und vollständig geschlossen, das Himmlische Jerusalem fügt sich deutlicher zu einem Einzelbau mit zwei hohen, schmalen Eingängen zusammen.

 

Eine andere Fassung, die wieder näher am Original gearbeitet ist, entstand in Russland im 20. Jahrhundert. Die Temperamalerei auf drei Brettern imitiert absichtlich Art und Weise der Darstellung des 16. Jahrhunderts. Im 21. Jahrhundert gelangte sie nach Westeuropa und wurde in Deutschland auf einer Auktion für 45.000 Euro versteigert. Sie bekam dabei den Titel „Gesegnet sei das Heer des himmlischen Königs (Kämpferische Kirche)“. Die Architektur Jerusalems wurde etwas vereinfacht, aber die anderen Bildelemente, wie Christus, Maria und der Zionsberg beibehalten.

 

Gerade im 21. Jahrhundert mit dem Wiedererstehen der Orthodoxie in Russland und vor allem mit der leichteren Verfügbarkeit von Materialien wie Goldfarben wurden Ikonen gerne kopiert und auf Postkarten oder im Internet popularisiert. Zu sehen sind hier zwei moderne Darstellungen aus Russland, deren Künstler namentlich nicht bekannt sind. Im Detail der Konzeption wurde sich sehr genau an die frühneuzeitliche Vorlage von 1555 gehalten, auch bei dem Neuen Jerusalem als dreigliedriger Bau auf einem Tafelberg in einer eigenen Gloriole. Bei der Farbgebung bedient man sich jedoch gewisser Freiheiten, so sind die Töne kräftiger und dunkler aus im 16. Jerusalem. Auch ist das Neue Jerusalem einmal dunkelbraun, dann wieder marmorweiß hell.
Die Fassung rechts stammt aus der Moskauer Ikonenwerkstatt Danilova Sloboda, wo zahlreiche traditioneller Ikonen nach fachlichen Kriterien in qualitativ hochwertiger Ausstattung reproduziert werden. Kunden sind vor allem zahlreiche neue russisch-orthodoxe Kirchen und Kapellen, die nach 1989 gebaut wurden.

Michail Vladimirovic Alpatov: Pamjatnik drevnerusskoj živopisi konca XV veka, Moskva 1964.
Tatjana Vladimirovna Tolstaja (Hrsg.): Uspenskij sobor Moskovskogo Kremlja, Morgunov 1979.
Engelina Smirnowa: Moskauer Ikonen des 14. bis 17. Jahrhunderts, Leningrad 1989.
Claus Bernet: Pretiosen des Ostens: Ikonen, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 36).

 

tags: Russland, Mariä-Entschlafens-Kathedrale, Moskau, Tempera, Auktion, Kopie, Moderne
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