Suche
Close this search box.

Werner Rolevinck (1425-1502): „Fasciculus temporum“ (1480) sowie Wandmalereien aus Jouvenceaux (um 1480) und aus Saint-Sixte (1573)

Werner Rolevinck (1425-1502) war ein literarisch überaus aktiver Kartäusermönch, der zahlreiche Schriften kirchengeschichtlicher und exegetischer Art verfasste. Sein wichtigstes Werk war „Fasciculus temporum“. Dieses war eine Universalgeschichte in übersichtlicher Form, die zwar zu seiner Zeit keine herausragende wissenschaftliche Leistung darstellte, aber als eine Art „Ploetz des 16. Jahrhunderts“ posthum weite Verbreitung fand.
Es liegt auf der Hand, dass in einer Universalgeschichte das Himmlische Jerusalem nicht fehlen darf. Es erscheint auf fol. 78v als Oktogon angelegt und erinnert an den Tempel Salomon. Über zwei Treppchen – ein origineller Einfall des Holzschnitzers – erreichen drei Gerettete Petrus, der ihnen die Himmelspforte aufschließt. Sanft streichelt er einer nackten Frau über die Haare – leider kann man solche Szenen nicht mehr neutral betrachten, sondern muss sofort an die Übergriffe und Missbrauchsskandale der Kirche denken, die mit solchen Harmlosigkeiten beginnen. Über diesen Figuren zeigen sich in spätgotischen Arkadenbögen Gottvater mit Reichsapfel und mehrere Engel, die auf verschiedenen mittelalterlichen Instrumenten musizieren.

 

Die Repräsentation Jerusalems aus der Schrift „Fasciculus temporum“ inspirierte sowohl die Buchmalerei, etwa MS 168 E 9, als auch die Wandmalerei. Ein Beispiel, neben der Janskerk in Huizinge, findet man in Jouvenceaux (Piemont). Dieses Himmlische Jerusalem stammt nicht aus einem Innenraum, sondern wurde als Freskomalerei an die Außenfassade einer Kirche angebracht, vor Wind, Regen und Sonne lediglich durch ein ausladendes Satteldach geschützt. In Anbetracht, dass die Malereien schon um 1480 entstanden sind, haben sie sich hervorragend erhalten, allein im unteren Bereich haben sich die Fundamente des Himmlischen Jerusalem abgerieben. Dort wird sich ursprünglich ein Tor befunden haben, durch das Petrus die Erlösten in die Anlage einließ. Der Ausschnitt ist Teil eines Weltgerichts der Kapelle Sant Antonio Abate im Ort Jouvenceaux im piemontesischen Sauze d’Oulx. Mit einer Höhe von fast 1400 Metern ist es das vermutlich höchstgelegene Jerusalem, also fast selbst schon himmlisch. Um 1480 waren derartige „Seelentürme“ das neueste, was die Jerusalems-Ikonographie zu bieten hatte: ein runder, sich verjüngender Turm ist vollends mit Menschen besetzt, die sich zwischen Fenstern und auf Terrassen zusammendrängen. Ganz oben, in einer Art Dachkapelle, befindet sich Gottvater mit auserwählten Heiligen. Ausgeführt wurden die Malereien wahrscheinlich von Bartolomeo Serra und seinem Sohn Sebastiano.

Margherita Tua, Giuliana de Bernardi: Affreschi del XV e XVI secolo in chiese e cappelle dell’Alta Valsusa, in: Enrica Regis, Margherita Tua, Giuliana de Bernardi: Santi e dannati negli affreschi del XV e XVI secolo in Alta Valsusa, Susa 1989, S. 37-43.
Associazione amici di Jouvenceaux (Hrsg.): Cappella di S. Antonio Abate in Jouvenceaux–Sauze d’Oulx, Rovereto 2005.

 

Ein anderes Beispiel findet sich in der Kapelle Saint-Sixte im italienischen Piemont (Melezet). Das dortige Weltgericht entstand 1573. Die Anlage der Architektur ist ähnlich wie der bei Rolevinck. Aufgrund des wesentlich größeren Raumes eines Wandgemäldes war es möglich hier weitaus mehr Gerettete darzustellen. Im unteren Bereich, der leider verlustig ist, wird sich ebenfalls Petrus befunden haben, wie er mehrere Gerettete in die Himmelspforte einlässt. Rechts sind Engel beigefügt, die die Posaune blasen und den Auferstandenen aus den Gräbern helfen. Die Flagge, die etwa in der Mitte des Bildes zu finden ist, ist nicht etwa eine frühe Darstellungen der österreichischen Nationalflagge, sondern bezieht sich auf das Herzogtum Savoyen, zu dem der Ort damals gehörte.

Hugo Wolffgram: Neue Forschungen zu Werner Rolevinck’s (Carthäusermönch 1425-1502) Leben und Werken, Münster 1890.
Volker Honemann: Theologen, Philosophen, Geschichtsschreiber, Dichter und Gelehrte im ‚Fasciculus temporum’ des Werner Rolevinck, in: Wilfried Ehbrecht (Hrsg.): Der weite Blick des Historikers. Einsichten in Kultur-, Landes- und Stadtgeschichte, Köln 2002, S. 337-356.
Albrecht Classen: Werner Rolevinck’s Fasciculus Temporum. The history of a late-medieval bestseller, or: The first hypertext, in: Gutenberg-Jahrbuch, 2006, S. 225-230.

 

tags: Kartäuser, Arkaden, Tempel Salomon, Fresko, Piemont, Italien, Seelenturm, SBB
Share:
error: