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Heinz Bienefeld (1926-1995) und Rudolf Link (1925-1968): Glaswand aus St. Anna in Köln-Ehrenfeld (1955/56)

Das Ostfenster in St. Anna in Köln-Ehrenfeld füllt die gesamte Eingangswandfläche aus, die von zwei sich verjüngenden Betonpfeilern getragen und gehalten wird. Das Jerusalem ist dort dargestellt als Aneinanderreihung gelber und grauer Tore und Türme, mit überwiegend spitzen Dächern, verteilt über die drei Hauptfenster. Die Bauten sind äußerst detailreich gezeichnet, jeder einzelne Stein ist dort zu finden. Auf den Mauern sind unterschiedliche Symbole aufgesetzt, etwa ein menschliches Gesicht im Halbprofil, eine Lyra, eine Weintraube, ein Auge, ein flammendes Herz, eine Uhr, ein Zweig, ein Lamm, ein Pferd, eine Himbeere oder Weintraube, eine ganze Reihe von Blättern – nur um einige zu nennen.
An den Seiten finden sich Besonderheiten, die im Zusammenhang mit dem Himmlischen Jerusalem selten zu finden sind: links ein Schiff (vgl. etwa Geiler von Kayserberg) und rechts ein komplexer Kalvarienberg, beides als Symbol für den Glauben und den Pilgerweg. Allein diese beiden Symbole bergen in sich wiederum Hunderte von Figuren und Einzelheiten, Anspielungen, Irritationen, mit denen sich ein ganzes Buch füllen ließe und worüber derzeit eine Doktorarbeit geschrieben wird. Das Zentrum dominiert ein weißer Kirchturm mit einem auffällig großen Zeltdach – vermutlich eine stilisierte Darstellung von St. Anna selbst. Er ist von zahlreichen Filialtürmen umzogen, denen Engelsfiguren aufgesetzt sind.

Viele dieser Details sind aus dem Schiff heraus nicht klar zu erkennen, sondern opak. Das Glas wirkt wie mit einem milchigen Schleier bedeckt, auch die schiere Größe der Fensterwand erschlägt den Betrachter regelrecht. Das Monumentalfenster wurde von Heinz Bienefeld (1926-1995) und Rudolf Link (1925-1968) entworfen, in Zusammenarbeit mit den Architekten Dominikus und Gottfried Böhm. Anschließend wurde es in den Werkstätten der Firma Derix in Kevelaer 1955/56 von einem ganzen Team von Handwerkern hergestellt und stückweise nach Köln transportiert. Neueste Techniken wurden damals verwendet, wie eine Goldfarbe aus zweifach gebrannter Silberlegierung.
Beim Anblick der neuen Fensterwand jubelten Modernisten. Viele Gemeindemitglieder, die mit dem Neubau leben mussten, waren zunächst geschockt. Zwar waren 1944/45 Teile der Kirche zerstört worden, aber ein Wiederaufbau der historischen Bausubstanz wäre mit etwas gutem Willen möglich gewesen. Der Neubau hatte aber praktisch nichts mehr mit der alten Kirche gemein. Manche brauchten Jahre, um sich mit dem kalten Werk aus Beton, Glas und eigenartigen Schiefertafeln an der Außenfassade etwas anzufreunden. Dabei sollten die strahlenden Fenster für die Gemeinde nach dem Krieg ein Symbol des Neuanfangs nach den dunklen Jahren von Nazidiktatur, Gewaltherrschaft und Krieg sein – heute sind sie ein Symbol für die Betonmanie der 1950er Jahre, die rigoros ein Stück Heimat ohne Notwendigkeit vernichtete, finanziert dank der Kirchensteuer. Letztlich sind solche misslungenen Raumexperimente auch ein Grund, warum sich Gläubige in modernen Kirchen nicht wohl fühlen und mit den Füßen abstimmen: Die zahlreichen Profanierungen beweisen es, die Moderne ist gescheitert.

Ein Rätsel ist der steinerne Monolith, der der Glaswand mit etwa zwei Metern Abstand vorgesetzt wurde. Viele glauben, dies sei noch ein Teil des Altbaus, der zur Mahnung oder als frühpostmoderne Spielerei von den Architekten stehen gelassen wurde. Dies ist aber nicht der Fall. Der Steintorso wirkt auf die Glaswand in zweierlei Hinsicht: Innen verdunkelt er die Glasfront und wirft seinen Schatten genau auf die Bauten Jerusalems, auf die es Bienefeld ankam. Gemeindemitglieder berichteten mir, dass Fotografen verzweifelt versuchen würden, die irritierenden Schatten zu retuschieren. Anders im Außenbereich: Durch die Reflexion des Vorbaus auf die Glaswand erscheinen bei Sonnenbestrahlung auf einmal die Türme und Tore der Fensterwand im Außenbereich und strahlen weit über den Vorplatz der Kirche. So ist es möglich, dieses Jerusalem selbst dann zu bewundern, wenn die Türen der Kirche geschlossen sind.

Heribert Heyberg: St. Anna, Köln-Ehrenfeld, Köln 1992.
Wolfgang Voigt (Hrsg.): Heinz Bienefeld 1926-1995, Tübingen 1999.

 

tags: Heinz Bienefeld, Köln, Rheinland, Nachkriegskunst, Beton
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