
Überaus bekannt bei orthodoxen Gläubigen Russlands ist die sogenannte „Kreml-Apokalypse“, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Moskau entstanden ist. Es handelt sich um eine Ikonostasentafel, die mit unterschiedlichen Szenen aus der Apokalypse überzogen ist. Das Himmlische Jerusalem ist auf der insgesamt 185 x 152 cm großen Tafel in Form einer ausdifferenzierten Architektur unten links dargestellt. Die Heiligen oder Märtyrer in weißen Gewändern befinden sich nun nicht vor, sondern über der Stadt. In dieser ist in der Mitte ein gebogener, leerer Thron zu erkennen. Die Mauern bestehen aus Vor- und Rücksprüngen brauner, quadratischer Tafeln, die der ebenfalls menschenleeren Stadt eine disharmonische, asymmetrische Ummauerung geben. Das Kunstwerk befindet sich heute in der Uspenski-Kathedrale (Mariä-Entschlafens-Kathedrale) im Moskauer Kreml und wurde kurz nach dem Neubau der Kirche 1475 bis 1489 von einem unbekannten Meister um 1550 geschaffen, den man notgedrungen „Meister des Kremls“ nennt.
Der „Meister des Kremls“ schuf ein Werk, das ohne direktes Vorbild dasteht und die Kopien der gotischen Formensprache in der Ikonenmalerei überwinden konnte. Stellvertretend für einen ganzen Typus wird das Werk kurz „Ikone der Apokalypse“ genannt.
Ja. Kačalova: K istorii nyne suščestvujuščego ikonostasa Uspenskogo sobora, in: Gosudarstvennye Muzei Moskovskogo
Kremlja (GMMK) (Hrsg.): Materialy i issledovanija. II, Sovetskij chudožnik, Moskva 1976, S. 104-108.
Tatjana Vladimirovna Tolstaja: The Assumption Cathedral of the Moscow Kremlin. For the 500th anniversary of the unique monument of Russian culture, Moskva 1979.
Kurt Weitzmann, Wilhelm Nyssen: Die Ikonen, Freiburg im Breisgau 1981.
Engelina Smirnowa: Moskauer Ikonen des 14. bis 17. Jahrhunderts, Leningrad 1989.