Der italienische Meister Benvenuto Tisi (genannt Il Garofalo, 1481-1559) hat im Laufe seines Lebens mehrfach das Thema Maria Immaculata aufgegriffen. Der Meister ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich das Motiv in Italien verbreitete. Eine der Fassungen befindet sich heute im Kunstmuseum Pinacoteca di Brera in Mailand. Sie wurde für das Kloster Santa Chiara in Ferrara geschaffen, das Tisi gut kannte, da er, zusammen mit seinem Bruder, seine Malerwerkstatt an diesem Ort hatte. Die Ausführung des Werks geht auf die Zeit zwischen 1528 und 1536 zurück. Hauptaugenmerk des Malers waren die zentrale Marienfigur und die sie umgebenden Kirchenväter, weniger die stilistisch gehaltenen Marienattribute. Sie wurden vermutlich von Schülern Tisis ausgeführt, zumal der Meister bereits sein rechtes Augenlicht verloren hatte.
Die Himmelspforte wurde oben rechts neben dem Kopf Mariens angebracht, die Civitas Dei, wie üblich, zu ihren Füßen, an der linken Seite. Beide Jerusalems-Symbole sind mit lateinischsprachigen Spruchbändern versehen, was auch Unkundigen die Zuordnung erleichtert.
Ein Ölgemälde „Immacolata Concezione e santi“ ist mit gerade einmal 61 x 40 Zentimetern auch für eine Immaculata-Darstellung außergewöhnlich klein. Die überaus feine Arbeit stammt entweder vom Meister Tisi höchstpersönlich, oder aus seiner Werkstatt in seiner Heimatstadt Ferrara. Nach Rom hatte er zahlreiche Beziehungen, und dort befindet sich seit spätestens 1750 in der Pinakothek auf dem Kapitolshügel diese Malerei (Inv. 192). Links von Maria im Stile Raffaels wurde die Porta Coeli angebracht, rechts unten zu ihren Füßen die Civitas Dei.
Eine letzte Fassung der Maria Immaculata entstand als Ölgemälde gut zwanzig Jahre später um 1550 und befindet sich ebenfalls in der Pinakothek auf dem Kapitolshügel der Stadt Rom. Die Anordnung der Mariensymbole wurde hier verändert. Die unspektakulär gehaltene Himmelspforte jetzt ist auf die rechte, die Civitas Dei auf die linke Seite gerutscht. Vergleicht man einmal die verschiedenen Fassungen der Mariensymbole, dann wird deutlich, dass Tisi ähnliche Lösungen wiederverwendete, wenngleich sich die Position der Symbole im Bild durchaus änderte. Die Himmelspforte der beiden in den 1530er Jahren entstandenen Arbeiten ist als Stadttor vergleichbar gehalten, um 1550 fallen zwar die Seitentürme, die zuvor schon niedrig waren, ganz weg, aber die blockähnliche Struktur bleibt erhalten. Die Gottesstadt ist stets eine pyramidal gestaffelte Ansammlung von Türmen und eng gesetzten Bauten einschließlich einer Stadtmauer im Vordergrund.
Anna Maria Fioravanti Baraldi: Il Garofalo. Benvenuto Tisi, pittore (c. 1476-1559), Rimini 1993.
Luisa Ciammitti (Hrsg.): Garofalo e Dosso. Ricerche sul polittico costabili, Venezia 1998.
Tatiana Kustodieva, Mauro Lucco (Barb.): Garofalo. Pittore della Ferrara Estense, Milano 2008.
Stephen J. Campbell: Renaissance naturalism and the Jewish Bible: Ferrara, Brescia, Bergamo, 1520-1540, in: Herbert L. Kessler, David Nirenberg (Hrsg.): Judaism and Christian art, Philadelphia 2011, S. 291-327.
Claus Bernet, Italo Faldi: Das Himmlische Jerusalem in Rom, Norderstedt 2012 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 2).