Johann Geiler von Kaysersberg (1445-1510): „Christliche Pilgerschaft“ (1512)

Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510) war über dreißig Jahre Domprediger zu Straßburg, das ihm Babel und Himmlisches Jerusalem zugleich war. Etwa fünfzig seiner Predigten flossen in sein Hauptwerk „Christenlich bilger“ ein. Bei dem 1512 in Basel erschienen Werk (mit Holzschnitten aus Augsburg) handelt sich um eine deutsche Übersetzung von Kaysersbergs erfolgreicher Schrift „Peregrinus“. Sie bildet den mittleren großen Zyklus der Trias Narrenschiff, Pilgerschaft und Schiff der Pönitenz, der um 1500 entstanden ist. Diese Werke gelten als bedeutendste Zeugnisse volkstümlicher deutscher Erbauungsliteratur vor Martin Luther.
Zu sehen ist ein Ausschnitt vom Frontispiz der mittleren Schrift „Pilgerschaft“: Ein einsamer Wanderer mit Pilgermantel, Pilgerstab, Rosenkranz und dem Hut mit der traditionellen Jakobsmuschel schreitet vorwärts. Vermutlich ging es nach Saragossa, denn Jerusalem war zu Beginn des 16. Jahrhunderts kaum erreichbar. Ihm gegenüber erscheint Christus vor einem Tor und grüßt den Pilger mit einladender Geste. Im Hintergrund ziehen sich Mauern und Häuser der Gottesstadt um den Pilger, der schon ganz von der Stadt und ihrer Atmosphäre eingenommen ist. Über ihm erscheint in den Wolken ein Engel, der ihm den rechten Weg zur Stadt weist.
Der Pilger und seine Eigenschaften waren ein Lieblingsthema des Johannes Geiler von Kaysersberg. Pilgerfahrten waren damals eine gängige Form des Reisens, vor allem wegen des Ablasstourismus. Zwischen 1488 und 1500 entstanden vier Predigtsammlungen, aus denen das Werk „Christenlich bilger“ (Pilgerschaft) kompiliert wurde, unter besonderer Bezugnahme eines Predigtzyklus‘, den Kaysersberg von März bis Mai 1500, also zur Fastenzeit, im Straßburger Münster gehalten hatte. Für die Zusammenstellung der Schrift war der Theologe Jakob Otter (1485-1547) verantwortlich, der Geiler von Kaysersberg die letzten zehn Jahre seines Lebens assistierte. Otter schloss sich später Martin Luther an und wurde ein früher Reformator Württembergs.

Dietrich Schmidtke: Geistliche Schiffahrt. Zum Thema des Schiffes der Buße im Spätmittelalter, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 91, 1969, S. 357-385; 92, 1970, S. 115-177.
Uwe Israel: Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510). Der Straßburger Münsterprediger als Rechtsreformer, Berlin 1997.
Mateusz Kapustka: Retoryka homiletyczna w obrazie. Illustracje do ‚Das Schiff des Heils’ Johannesa Geilera von Kaysersberg (wyd. 1512), in: Ewa Chojecka (Hrsg.): Marmur dziejowy = Historical marble: Studia z historii sztuki, Poznań 2002, S. 81-92.
Nine Miedema: Een geestelijke pelgrim op reis, in: Peter M. de Wilde (Bearb.): Op reis met Memoria, Hilversum 2004, S. 107-145.
Rita Voltmer: Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510) und Straßburg, Trier 2005.

 

tags: Pilger, Reformation, Pforte, Holzschnitt
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