 
											Signifikat häufiger findet sich das Motiv des Himmlischen Jerusalem bei mittelalterlichen Klosterbauten der Benediktinermönche, die zu diesem Bildmotiv eine besondere Affinität entwickelten. Dies zeigt sich auch bei der ehemaligen Benediktinerabteikirche Saint Austremoine in der französischen Stadt Issoire (Département Puy-de-Dôme, Auvergne). Dort tragen acht Schmucksäulen die Decke des Chorbereichs. Die (von links aus gezählte) fünfte Säule, direkt rechts vom Altar, zeigt auf zwei der vier Kapitell-Seiten Architektur des Himmlischen Jerusalem. Diese ist allerdings nicht von vorne aus (aus dem Kirchenschiff heraus) zu sehen, sondern zeigt sich erst bei Betreten des Chorumgangs.

Die erste Kapitellseite zeigt zwei Figuren, Christus und einen männlichen Heiligen, die vor der Pforte zur Himmelsstadt stehen. Diese scheint aufgeklappt zu sein, man sieht deutlich das schmiedeeiserne Beschlagwerk. Auf der nächsten angrenzenden Seite sieht man die Stadt Jerusalem, von der aus ein Engel rechts oben eine Posaune bläst.

Der Engel befindet sich bereits im Himmlischen Jerusalem, einer Burganlage mit hoher Mauer und mehreren gestaffelten Türmen. Er steht auf einem Rundturm, dem ein hexagonaler Turm gegenüber gestellt ist, während der Turm über der Pforte als Viereck gestaltet ist – die Steinmetzen sorgten also für Abwechslung. Unten befindet sich ein weiteres Nebentor, vielleicht in Anlehnung an die enge Pforte. Die Mauern der Stadt wie auch zahlreiche Details sind mit viel Liebe und Sorgfalt gearbeitet worden, obwohl man sie vom Boden aus sechs Meter Entfernung kaum erkennen kann. Beispielsweise sind in die Mauersteine sogar kleine Löcher markiert, die Rüstlöcher oder Spuren der Steinschere zeigen. Die Farben der Stadtanlage bestehen ausschließlich aus hellen und dunklen Brauntönen, während das restliche Kapitell wie auch die Säule mit kräftigen Farben überzogen ist, teilweise auch vergoldet.
Das Kapitell aus der Zeit um 1160 entstammt vermutlich einer provenzalischen Wanderwerkstatt. Es wurde zwischen 1857 und 1859 von Anatole Dauvergne (1812-1870) umfassend restauriert und nach dem mittelalterlichen Farbbefund neu bemalt. Neben den berühmteren Kapitellen von Moissac gehört dieses Werk aus Issoire zu den ältesten Beispielen eines Neuen Jerusalem auf einer Säule.

Bernard Craplet: Splendeur d’Issoire. Avec une introduction de l’atelier, des notes historiques et une visite de l’église Saint-Austremoine, Paris 1955.
Zygmunt Świechowski: Das Kapitell mit dem Abendmahl in der St. Austremoine-Kirche zu Issoire und seine Nachfolge in der Auvergne, in: Hans Müller, Gudrun Hahn (Hrsg.): Aspekte zur Kunstgeschichte von Mittelalter und Neuzeit. Karl-Heinz Clasen zum 75. Geburtstag, Weimar, 1971, S. 289-298.
Marie-Claire Ricard: Die Abteikirche von Issoire, Lyon 1988.
Claus Bernet: Gemacht für die Ewigkeit. Steinwerke des Himmlischen Jerusalem, Norderstedt 2013 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 8).



