Rudolf Yelin (1902-1991) hatte einen örtlichen Schwerpunkt von Darstellungen des Himmlischen Jerusalem bislang in Stuttgart und in der Umgebung von Calw; mit Dottingen, einem Ortsteil der Stadt Münsingen, verlagerte er sich jetzt auf die Schwäbische Alb. Zentrum von Dottingen ist die evangelische Kirche, die Georgskirche, 1605 noch im spätgotischen Stil erbaut. Hier trat Yelin gleichzeitig als Neugestalter wie als Kunstvernichter auf: Ohne Notwendigkeit wurden 1955 die drei historischen Buntglasfenster herausgerissen und entsorgt. Man wollte damals hinter den Städten nicht zurückstehen; der neue Pfarrer wünschte sich „moderne“ Fenster. So modern waren sie allerdings gar nicht, denn mit Yelin hatte man einen Künstler beauftragt, der an Gotik interessiert war und diesen Stil modern interpretierte. So findet man hier mit dem Weltgericht, den fünf klugen und den fünf törichten Jungfrauen ein schon im Mittelalter aufgegriffenes Thema.
Im zentralen Fenster zeigt Yelin den auferstandenen Christus mit der Siegesfahne (dem Georgskreuz) in einer gerundeten Mandorla. Darüber hat Yelin die Stadt Jerusalem als eng aneinander gesetzte Reihung von Bauten eingefügt, in einem dunkelgelb-goldenen Ton, als rein flächige Erscheinung ohne Plastizität. Anders als noch in den Arbeiten zuvor wird die Malweise immer geometrischer und tendenziell abstrakt. So ist das Grab lediglich ein grüner Rahmen, der Hügel der Kreuzigung ganz unten lediglich ein Halbkreis. Dort findet man übrigens weitere Angaben zum Zustandekommen dieser Arbeit, sie verdankt sich nämlich einer großzügigen Spende einer nach Florida (USA) ausgewanderten ehemaligen Dottingerin, Elise Thiel, geborene Kazmaier. Des weiteren ist auf dem Fenster festgehalten, dass es 1956 in der Manufaktur Saile in Stuttgart hergestellt worden ist, wo Yelin Jahre zuvor eine Lehre zum Glasmaler gemacht hatte.
Evangelische Kirchengemeinde Dottingen, Münsingen (Hrsg.): 620 Jahre Kirchengemeinde Dottingen, Münsingen-Dottingen 1980.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Rudolf Yelin d. J., 1902-1991. Leben und Werk, Petersberg 2019.