Alexandre Cingria (1879-1945): Rundfenster aus Notre-Dame de l’Assomption in Echarlens (1926)

Betrachtet man dieses Rundfenster, gewinnt man anhand der Farben und geschwungen Formen den Eindruck, ein Kunstwerk der 1970er Jahre vor sich zu haben. Tatsächlich ist diese Arbeit zwei Generationen zuvor in den 1920er Jahren entstanden, für eine reformierte Kirche in der französischsprachigen Schweiz, im Ort Echarlens (Kanton Freiburg). Sie ist der Himmelfahrt Mariens gewidmet und trägt den Namen Notre-Dame de l’Assomption.

Das runde Fenster hat einen Durchmesser von 2,30 Metern. Es befindet sich auf der Empore über dem Ein- und Ausgang an der Westseite, also dem Altar gegenüber. Der Blick von unten aus dem Kirchenschiff wird zunächst von Architektur aufgenommen, kristallinen weißen, grünen und violetten Körpern, die an Bauklötzchen erinnern. Rechts schwingt sich eine Treppe weiter nach oben, zu einer Pforte. Dahinter breitet sich das Firmament aus, Sterne, ein Komet, der Mond, Jupiter, dann auch eine Sonne. Hier irritiert das feiste Grinsen, zumal dieses Objekt als einziges ein menschliches Gesicht trägt – fast, als würde sich die Sonne heimisch darüber freuen, es in das Neue Jerusalem geschafft zu haben, denn Himmelskörper sind nicht ihre eigentliche Leuchtkraft und in der Stadt eigentlich überflüssig. Sie leuchtet aus Gott heraus. Tatsächlich gehen im oberen Bereich zahlreiche Strahlenbündel von einem Zentrum aus, das selbst nicht figürlich dargestellt ist. Es ist das schwarze Kreuz, welches zusammen mit den zwei kleineren seitlichen Kreuzen an Golgatha erinnert.

Nur von außen kann man diese Konzeption verstehen. Die Kreuze sind die schattige Rückseite eines steinernen Kruzifixus, das direkt in die Fassung des Fensters eingearbeitet wurde. Zusätzlichen stehen auch zwei Frauen neben dem Kreuz, Maria und Maria Magdalena. Die Strahlen gehen also vom Haupt Christi aus, die dunkleren Stellen der Glasmalerei sind die Schatten der Gewänder dieser Frauen.
Geschaffen wurde die ungewöhnliche Arbeit von Alexandre Cingria (1879-1945), einem Künstler, der viele Kirchenfenster Deutschlands, Italiens und Frankreichs aus eigener Anschauung her kannte und der sich um die Wiederbelebung der sakralen Kunst innerhalb der katholischen Kirche bemühte, dafür auch einen Verein gründete.

Der Bezug seines Fensters zu Jerusalem wurde übrigens von der Tonnendecke aufgenommen. Einige Kassetten vor dem Fenster sind farbig bemalt, so dass sich hier über der versammelten Gemeinde ein illusionärer Regenbogen von links nach rechts spannt. Solche Raumbezüge sind eine besondere Qualität der Arbeiten Cingrias, für den die Fenster immer Teil der Architektur waren und einem Gesamtkonzept dienen sollten. Damit beschäftigte sich Cingria hier ganz besonders, denn erstmals in seinem Schaffen als Glaskünstler war er in Echarlens für die gesamte Verglasung des Baus verantwortlich. Seine ersten Entwürfe zu dem Rundfenster datieren vom Juni 1924, doch der Einbau erfolgte erst im Dezember zwei Jahre darauf, da finanzielle Schwierigkeiten den Baufortschritt hemmten. Nachdem das Fenster eingesetzt war, wurde es ohne Cingrias Wissen von einem Mitarbeiter der Werkstatt Kirsch und Fleckner farbig bemalt – möglicherweise sind also die kräftigen Farbtöne dieser Arbeit ursprünglich anders gedacht gewesen.

Alexandre Cingria: La décadence de l’art sacré, Lausanne 1917.
Jean-Baptiste Bouvier: La nouvelle église d’Echarlens, in: Nouvelles étrennes Fribourgeoises. Almanach des villes et des campagnes, 1929, S. 123-146.
Hélène Cingria: Alexandre Cingria. Un prince de la couleur dans la Genève du XXe siècle, Genève 1954.

 

tags: Neue Sachlichkeit, Kanton Freiburg, Schweiz, Sonne, Kreuz
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