Paul Zehnder (1884-1973): Fenster der Schlosskirche von Interlaken (1963)

Die Schlosskirche in Interlaken hat eine bewegte Geschichte: Jahrhunderte war sie zweckentfremdet und diente als Weinkeller und Lagerhaus, erst mit dem zunehmenden Tourismus Mitte des 19. Jahrhunderts rückte sie wieder ins öffentliche Bewusstsein. 1909/11 wurde dann ein neues neugotisches Kirchenschiff nach den Plänen des einheimischen Architekten Adolf Mühlemann errichtet. Zu der späteren Ausstattung des fünfjochigen Saals gehören die Glasmalereien von Paul Zehnder (1884-1973), ein schweizerischer Kunstmaler aus Isletwald, wenige Kilometer von Interlaken entfernt. Zunächst konzentrierte Zehnder sich auf Ölmalerei, später auf kirchliche Wandbilder, und auch für die Schlosskirche in Interlaken hat er solche geschaffen. Nachdem er in den 1950er Jahren die Chorfenster geschaffen hat, vollendete er sein Werk für die Schlosskirche mit einem Rosettenglasfenster im Jahr 1963. Es befindet sich im Mittelschiff an der Nordseite, direkt gegenüber des Schöpfungsfensters. Sie alle wurden in Isletwald entworfen und in der Fabrik von Halter in der Stadt Bern hergestellt.

Im Stil hat Zehnder aktuelle Strömungen eingearbeitet, das Werk atmet bereits den Geist der 1970er Jahre. Zwischen dem neogotischen Maßwerk erscheint die Stadt Gottes, hoch oben, in Pastelltönen, was der Malerei einen transzendenten Eindruck verleiht, als würden die Mauer aufbrechen und Gott mit dem Neue Jerusalem erscheinen. Von Gott ist links seine Hand in den Wolken zu sehen, ein mittelalterliches Motiv im Zusammenhang mit dem Erscheinen der Stadt, die hier von keinen Figuren, seien es Engel, das Lamm oder Heilige, besetzt ist. Drei Türme sind aneinander gereiht, zwei größere mit einem roten Arkadengang links, ein kleinere mit einem Zeltdach links. Zwischen die beiden größeren Türme ist eine noch geschlossene Himmelspforte gesetzt, mit schmiedeeisernem Beschlagwerk. Darüber findet man die Aufschrift „Eine feste Burg ist unser Gott“, das vielleicht bekannteste Lied Martin Luthers Ende der 1520er Jahre. Nach unten grenzt eine weiße Mauer die Bauten von der Umgebung ab. Davor sind sechs gewaltige, in kräftige Farben gemalte Edelsteine vorgesetzt, das Fundament der Stadt. Aus kompositorischen Gründen, damit man sie auch aus acht Meter Entfernung gut sehen kann, wurde nur die Hälfte der Steine eingefügt. 

Rudolf Gallati, Robert Schneiter: 75 Jahre evangelisch-reformierte Schlosskirche Interlaken, Interlaken 1986.
Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Solothurn, Bern 2006 (Kunstführer durch die Schweiz, hrsg. von Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte, 3)
Gerrendina Gerber-Visser: Der Künstler am Werk. Paul ‚Pablo‘ Zehnder, in: Berner Zeitschrift für Geschichte, 73, 1, 2011, S. 48-51.

 

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