Frans Griesenbrock (1916-2010), Richard Süßmuth (1900-1974): Fenster der Kirche St. Ansgar in Flensburg-Mürwik (1957)

St. Ansgar, benannt nach dem „Apostel des Nordens“ ist die römisch-katholische Präsenz in Mürwik, ein nördlicher Stadtteil von Flensburg. Die Kirche ist auf einem Hügel errichtet, von dem Glockenturm kann man bis nach Dänemark sehen. Der Zuzug vieler katholischer Heimatvertriebener und die Stationierung der Marine in Mürwik führten zu diesem Neubau aus dem Jahr 1957. Der zentrale Schmuck des nüchternen, schlichten Nachkriegsbaus sind zehn Fenster von Frans Griesenbrock (1916-2010). Er arbeitete hier eng mit Richard Süßmuth (1900-1974), selbst ein Heimatvertriebener aus Schlesien, zusammen, in dessen Werkstatt in Immenhausen die Fenster hergestellt wurden. Süßmuth war ein Glaskünstler ersten Ranges, er war auf zahlreichen Ausstellungen präsent (u.a. auf der documenta III in Kassel), nahm nicht nur an Wettbewerben teil, sondern erhielt zahlreiche Ehrungen und Preise – ein Könner seines Fachs.

Die hohe Qualität der Arbeiten dieser Künstler unterstreichen auch die Fenster für St. Ansgar in Mürwik. Neben einer Glaswand im Altarbereich wird das Kirchenschiff von jeweils vier Seitenfenstern beleuchtet. Das erste dieser Fenster, in Nähe des Altars rechtsseitig, zeigt das Neue Jerusalem. Bereits die Form als Pentagon ist eher ungewöhnlich, man wollte damals bewusst mit der Tradition brechen, Neues wagen. Dafür war das Team Griesenbrock/Süßmuth genau richtig. Auf dem Fenster sind ungewöhnliche Symbole eingearbeitet, deren Kontext sich nicht sofort erschließt.

So biegen sich drei Ähren von links nach rechts und bilden ein Podest für ein rotes Kreuz. Grüne Bäume zu den Seiten erinnern an den Lebensbaum und den Erkenntnisbaum. Der einzige weitere Farbpunkt ist eine singuläre blaue Scheibe am linken Rand, deren Funktion offen bleiben muss. Hinter dem Ährenbogen, der auch als Stadttor fungiert, sieht man zahlreiche Häuser, weitere Tore, aber keine Stadtmauern. Die Bauteile sind allein aus schwarzen und silbernen Scheiben zusammengefügt, das Kunstwerk wird zur Grisaille. Zwei weitere Symbole stellen Fragen: Unter dem Ährenbogen findet anscheinend eine Krippe Platz – vielleicht ein Verweis auf das Leben Jesu vom Geburt bis zum Kreuz? Dann wäre es schlüssig, den rechteckigen Block hinter dem Kreuz als Grab zu interpretieren. Freilich wäre dann die Stadt eher das historische Jerusalem, wie auch die gängigen Elemente des Neuen Jerusalem in diesem Fenster eher nicht aufgenommen sind. In der Literatur jedoch ist mehrfach zu lesen, hier sei das Himmlische Jerusalem dargestellt; auch die Gemeinde sieht das so. Bauunterlagen zu dieser Detailfrage konnten nicht aufgefunden werden, und Süßmuth oder Griesenbrock konnten dazu nicht mehr befragt werden. Als ich Griesenbrock noch zu Lebzeiten anschrieb und um eine Zusammenstellung seiner Arbeiten zum Neuen Jerusalem bat, hatte er St. Ansgar nicht angeführt. Andererseits: Schwingt nicht in jedem christlichen Bild des historischen, irdischen Jerusalem auch etwas von der Zukunftshoffnung des neuen Jerusalem mit?

Helmut Hannes: Richard Süßmuth, ein Bahnbrecher der modernen Glasgestaltung, in: Jahrbuch Landkreis Kassel, 15, 1987, S. 175-179.
Friedrich Karl Baas: Der Glasgestalter Richard Süßmuth von 1946-1966, Immenhausen 1998.
Flensburg-Mürwik St. Ansgar, in: Handbuch des Bistums Osnabrück, Osnabrück 1991, S. 709-710.

 

tags: Ähre, Grab, Kreuz, Schleswig-Holstein, Nachkriegskunst
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