 
											Charles Crodel (1894-1973): Altarfenster der Matthäuskirche in Hamburg-Winterhude (1963)
Der Glaskünstler Charles Crodel (1894-1973) hatte schon in den 1950er Jahren „seine“ Interpretation des Himmlischen Jerusalem gefunden, als Mosaik kann man sie heute noch in Berlin-Tiergarten und in Glas in Pforzheim bewundern. 1963 entstand nochmals eine Glasmalerei in dieser Manier – es ist aber zu einfach, dem Künstler Ideenlosigkeit oder Monotonie vorzuwerfen. Schließlich hat Crodel um 1965 in Frankfurt am Main ein für sein Schaffen völlig neuartiges Jerusalem vorgelegt, das viele als moderner und abstrakter halten als seine früheren Interpretationen. Allerdings haben die früheren Interpretationen den Vorteil, dass man die Malerei auch sogleich als Himmlisches Jerusalem erkennen kann, zumal in den 1960er Jahren die Bibelkenntnis und die der christlichen Ikonographie viel verbreiteter war als im heutigen Atheismus. Die Erkennbarkeit gilt auch für Crodels evangelische Matthäuskirche in Hamburg-Winterhude. Hier wurde der Künstler mit der Gestaltung von drei Apsisfenstern beauftragt, was 1962/63 umgesetzt wurde.

Tatsächlich war es in diesem Fall so, dass man figürliche Motive und eine Stadt wünschte „wie es in hervorragender und zeitgemäßer Stimme zu dem Betrachter in der Kirche (Schloßkirche von Pforzheim, CB) spricht“ – ob der damalige Pfarrer diese Kirche in Baden-Württemberg von eigener Anschauung her kannte oder ob Crodel Abbildungen davon mitbrachte, wissen wir nicht, aber sie war in Hamburg bekannt und diente als Vorbild, nicht allein beim Neuen Jerusalem. Nachgewiesen ist, dass Pastor Giese den Kontakt zu Crodel herstellte. Er bekam 1958 den vertrauensvollen Auftrag, einen Künstler (oder eine Künstlerin) zu finden und erste Entwürfe einzuholen. Dafür standen damals 1.000 DM zur Verfügung. Am 22. August 1961 wurde Crodel der Auftrag erteilt und am 5. September 1962 wurden seine Entwürfe vom Kirchenvorstand angenommen.

Auf dem rechten Rundbogenfenster wird unten das Gleichnis der fünf kluge und fünf törichten Jungfrauen gezeigt. Es geht bei dem Gleichnis um eine Pforte und den Zugang ins Himmelsreich, daher wird es gerne in Bezug zum Himmlischen Jerusalem gesetzt. So auch hier, denn die Stadt besetzt das Mittelfeld. Rosafarbene Mauern und Tore formen ein liegendes Oval. Die vorderen der insgesamt neun Tore sind kunstvoll mit blauem Beschlagwerk ausgestattet, hier zeigt sich am deutlichsten die figürliche Note dieses Fensters. Der Raum dazwischen ist bei Crodels Jerusalem nicht, wie anderswo, mit Häusern oder/und dem Lamm besetzt, sondern mit sich kreuzenden Strukturen auf grünem Grund. Diese werden gewöhnlich als Wege im Paradiesgarten interpretiert, auch die Assoziation von Begegnung schwingt mit. Spaziergänger findet man in diesem Garten jedoch keine, alle Figuren wurden von dem Künstler vor die Stadt gesetzt. Über der Stadt findet sich ein weiteres Symbol, dessen Zusammenhang mit Jerusalem nicht sofort klar wird: Es handelt sich um ein Segelschiff. Dieses ist nicht oder nicht nur eine Referenz an Hamburg als Hafenstadt, sondern es ist die Arche Noah, darauf verweist auch die weiße Taube oben rechts. Die Arche im Kontext mit dem Himmlischen Jerusalem ist eine Kombination, die zeitweise in Baden-Württemberg in den 1950er und 1960er Jahren populär war (Gablenberg, Rötenbach, Kleinglattbach). Die Idee: die Arche war im Alten Testament ein Symbol der Rettung und des Schutzes, wie es das Neue Jerusalem im Neuen Testament ist – die Problematik solcher Analogien soll hier nicht erläutert werden, man findet diese Darstellungsweise in den späteren Jahren auch nicht mehr.
Erika Lehmann: Graphik, Malerei und Kunsthandwerk von Charles Crodel. Umfeld, Leben und Werk, Dissertation Halle/Saale 1984.
Dietrich Feldmann: Matthäuskirche in Winterhude, Hamburg 2002.
Katrin Plümpe: 100 Jahre Matthäuskirche Hamburg Winterhude, Matthäuskirche, Hamburg 2012.
Jan Petersen, Axel Lohr: Kirchenglasmalereien in Hamburg und Schleswig-Holstein, Kiel 2023.



