Werner Gailis (1925-1993): Tabernakel aus St. Judas Thaddäus in Berlin-Schöneberg (1968/69)
Der gebürtige Berliner Werner Gailis (1925-1993) hatte unter Ludwig Gabriel Schrieber Bildhauerei studiert und richtete an der Berliner Hochschule der bildenden Künste ab 1955 eine Metallgießerei und Metallverarbeitungsschule ein, der er viele Jahre vorstand. 1964 wurde er zum Professor ernannt, und zu diesem Zeitpunkt begann er, katholische Kirchen in Berlin mit liturgischen Gegenständen, überwiegend im Bronzeguss, auszustatten. Die 1960er Jahre waren damals geprägt von großzügigen Kirchenneubauten, katholische Heimatvertriebe stärkten die Gemeinden, die finanziell allerdings bereits von der BRD bezuschusst wurden. Gailis erster Großauftrag war die Ausstattung des Altarraums der Kirche St. Judas Thaddäus in Berlin-Schöneberg, was sich von 1966 bis 1970 hinzog.

Der Altarbereich wird tagsüber von seitlichen Fenstern gewissermaßen „unsichtbar“ ausgeleuchtet, da man die Fensterbänder von vorne nicht sehen kann. Neben einem Osterleuchter (mit dem Lebensbaum und Lebensstrom), den Kreuzweg-Plastiken und dem Lesepult schuf Gailis hier den neuen Tabernakel. Dessen Herstellungszeit lässt sich auf 1968/69 eingrenzen. Damit hatte die Kirche zehn Jahre nach Erbauung ihren zweiten Tabernakel, denn der ältere, erste Tabernakel wurde 1969 in die Krypta dieser Kirche transloziert.
Die überlebensgroßen Figuren aus Hartformgips, die heute die Altarwand dominieren, wurden ebenfalls von Gailis angebracht. Bereits hier werden mit den vier apokalyptischen Wesen, Johannes und dem Engel, den vierundzwanzig Ältesten und dem Lamm mit der Schriftrolle bereits Motive aus der Offenbarung verwendet, die dann auch im feuervergoldeten Bronzetabernakel anklingen.

Der Tabernakel zeigt das, was die Altarwand noch nicht zeigt: das Neue Jerusalem als zeltförmigen Schrein. In einer Strahlengloriole glänzen Häuser, überwiegend kompakte Kubusbauten. Unten stechen sechs Tore hervor, drei an der linken und drei an der rechten Seite. Auf viele weitere Details der Stadt bzw. der Stadterscheinung, wie sie in der Offenbarung beschrieben wird, hat Gailis verzichtet, denn diese finden sich bereits auf der Wand dahinter. Diese scheinen ebenso im Raum zu schweben wie der in die Betonwand eingelassene Tabernakel. Im Inneren, wenn man die Flügel öffnet, werden Darstellungen von Weinreben und ein Brotkorb als Verweis auf das Abendmahl sichtbar.
Victor H. Elbern: Bildwerke von Werner Gailis in Berliner Kirchen, in: Das Münster, 30, 1, 1977, S. 9-14.
Muzeum Narodowe w Warszawie (Hrsg.): Werner Gailis, wystawa rzeźb; Muzeum Narodowe w Warszawie, grudzień 81 – styczeń 82, Münsterschwarzach 1981.
Bastian Müller: Katholische Pfarrkirche St. Judas Thaddäus, erbaut 1959, Architekt: Reinhard Hofbauer, Berlin 2006.
Nikolaus Bernau, Patrick Voigt: Beton und Glaube. Kirchen der Nachkriegsmoderne in Berlin, Berlin 2014.



