
In der Johannesoffenbarung ist das weiße Kleid ein Symbol für den durch Christus geretteten und von Sünden rein gewaschenen Menschen – ein Gedanke, der auf dem Mindener Kasel mit anklingt. Das Rot ist ebenfalls eine Farbe der Apokalypse, als Blut der Märtyrer oder als Opferblut Christi.
Die im Jahre 2004 im Kloster Varensell verstorbene Benediktinerin Erentrud Trost (geb. 1923) hat neben dem großen Heilig-Geist-Fenster in der Mindener St. Mauritiuskirche, das ebenfalls das Himmlische Jerusalem zeigt, auch liturgische Gewänder für die Domgemeinde entworfen. Der Kasel wird heute in einem der Kleiderschränke der Sakristei aufbewahrt und an bestimmten, hohen kirchlichen Feiertagen vom Propst als Leiter des Gottesdienstes getragen. Die Schränke bergen eine der größten Sammlungen geistlicher Gewänder in Deutschland und sind wissenschaftlich noch nicht dokumentiert.
Am äußeren Saum des weiten Mantels sind die Mauern mit den zwölf Toren der Stadt dargestellt. Sechs Tore befinden sich auf der Vorderseite, sechs weitere auf der Rückseite. Sie alle sind durch eine Stadtmauer verbunden. Diese umschließen als Fries die Motive des Priestergewandes.
Auf der Vorderseite des Messgewandes sind das die vierundzwanzig Ältesten: „Danach sah ich eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen, niemand konnte sie zählen. Sie standen in weißen Gewändern vor dem Thron und vor dem Lamm und trugen Palmzweige in den Händen“ (Offenb. Kap. 7, Vers 9). Das Motiv des weißen Gewandes wird also auf diesem Gewand selbst erneut thematisiert. Erentrud Trost hat die Ältesten mit Schmuck wie Halsketten und Gürteln geziert. Zwei Erlöste umarmen sich, andere erheben ihre Augen und Hände hin zum Lamm. Die Bekleidung der Figuren wie auch das Lamm müssten eigentlich in weißer Farbe gearbeitet sein, was sich aber auf dem bereits weißen Hintergrund nicht gut ausgemacht hätte – die Künstlerin wählte daher verschiedene Rottöne, was an das Blut des Lammes und der Märtyrer erinnert.
Das Lamm mit der Siegesfahne befindet sich auf der Rückseite des Gewandes. Das Lamm steht, wie die Johannesoffenbarung schreibt (Kap. 14, Vers 6), auf dem Berg Zion, den die Künstlerin mit zwei gestickten Bögen angedeutet hat.
Paul Jakobi: Der Mindener Domschatz. Zeugnisse christlicher Kunst, Minden 2005.