
Im Laufe seines Schaffens hat der Stuttgarter Künstler Wolf-Dieter Kohler (1928-1985) mehrere Textilien gestaltet, man schätzt die Zahl der Antependien und Wandteppiche auf etwa 70 Stück. Viele sind inzwischen verloren gegangen oder sind in den Gemeinden nicht mehr in Verwendung, was deutlich macht, dass die Kunst Kohlers in ihrer Zeit beheimatet und nicht zeitlos war. Eine Ausnahme ist da vielleicht ein vier Meter langer Wandteppich aus dem Jahr 1982. Er gehört der evangelischen Kirche von Grunbach bei Remshalden im Rems-Murr-Kreis und hängt heute im Saal des Paul-Gerhard-Hauses, genutzt vom Kindergarten bis zum Seniorenkreis. Der Name des Hauses erinnert an das einstige Volkslied „Geh aus mein Herz und suche Freud“, das dem Wandteppich zugrunde liegt, neben seiner religiösen Thematik.
Ungewöhnlich ist das filigrane Aluminiumkreuz, welches dem Teppich vorgesetzt ist und an zahlreichen Stellen die Stofffarben hindurchscheinen lässt. Das Kreuz bildet das Zentrum eines roten Kreises, der mit seinen gelben Strahlen einer Sonne ähnelt. Diese Strahlen überdecken zum Teil die zwölf Tore, die in Dreiergruppen links und rechts angeordnet sind.
Es sind die typischen Kohler-Tore: einfache Blöcke, schmucklos, mit gelber Rahmung und roter Füllung. Die Strahlen führen bis zu den Engeln, die entgegen der Richtung der Strahlen gesetzt sind. An beiden Seiten gehen die Engelsflügel in Vögel und andere Tiere über; Kohler lässt eine Paradieslandschaft entstehen, mit Fischen, Rehen, Schafen und einem Storch – eine ähnliche Konzeption hat er zwei Jahre darauf in Sindelfingen in Glas geschaffen.
Hergestellt wurde der Wandteppich in Stuttgart in der dortigen Paramentenwerkstatt. In 15 Wochen arbeitete nur eine einzige Mitarbeiterin daran. Als der Teppich am 29. Januar 1983 eingeweiht wurde, war Kohler vor Ort anwesend und betonte in einer Rede den Bezug des Teppichs zu dem religiösen Inhalt des Liedes: „Das Kreuz ist der Mittelpunkt vor der güldnen Sonne. Das Kreuz des Sieges, des Lichtes und der Sonne. Das Kreuz ist das ‚Ich‘ nach allen Seiten hin: dem Morgen der Zuversicht, dem Abend des Leides, dem Mittag der Freude und der Mitternacht vielleicht des Sterbens und in Christi Garten ‚Halleluja‘ singen“. Anschließend bedankte Kohler sich bei seiner Mitarbeiterin für „unermüdliche, sorgfältige, und künstlerische Arbeit“, unterlässt es jedoch, ihren Namen zu nennen. Auch auf der Plakette auf der Rückseite des Teppichs ist nur den Künstler angeführt.
Karin Schaal: Die evangelische Kirche in Grunbach, in: An Rems und Murr. Halbjahreshefte für Heimat und Kultur im Rems-Murr-Kreis, 18, 36, 1991/92, S. 20-24.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.