Jüngstes Gericht aus Russland (um 1700)

Für eine Ikone ungewöhnliche klassizistische Architektur bietet dieses Himmlische Jerusalem auf einer russischen Malerei aus dem frühen 18. Jahrhundert; die blasse Farbtönung und die feine Zeichnung lassen Experten das Werk auf um 1700 datieren. Es ist eine der wenigen Weltgerichtsikonen im byzantinischen Stil, die die Jahrhunderte gut überstanden hat, „irgendwie“ aus Russland in den Westen gelangte, dann ca. zwanzig Jahre lang zur italienischen Ikonensammlung Orler in der oberitalienischen Gemeinde Marcon gehörte und neuerdings wieder auf Auktionen auftauchte (2018).

Das Himmlische Jerusalem ist auf der insgesamt 218 x 160 Zentimeter großen Ikone, wie üblich, ausschließlich links oben zu finden, während sich rechts mehrere Heilige in Gloriolen und der Heilige Michael im Kampf gegen Dämonen finden. Hinter einer abwechslungsreichen rotfarbenen Architektursilhouette öffnen sich fünf Arkaden, die unten aus Stein zu bestehen scheinen, während der Bogen über den Säulen aus Metall, vermutlich Gold, gearbeitet ist. In den Arkaden sind Heilige in Gruppen geordnet, von links nach rechts die drei Patriarchen, dann nackte Märtyrer mit Palmwedeln, schließlich bedeutende Vertreter der Kirchengeschichte und Nonnen. Weitere Heilige kommen von unten links nach oben und werden von einem Engel in Empfang genommen. Vier dieser prächtigen Engel in weißen Gewändern und goldenen Flügeln sind versammelt. Einzigartig sind die unterschiedlichen Engelsköpfe auf den Wolken zwischen ihnen, die wie aufgedruckt wirken. Der Gegenpool zu diesem Jerusalem des Neuen Testaments ist die Paradiespforte des Alten Testaments, auf dieser Ikone unten links, wo ebenfalls Heilige zu einer rosafarbenen Architektur streben.

Veerle Vandamme, Nano Chatzēdakēs: D’un autre monde. Icônes inconnues et art byzantin, Gent (1997).
Sania Gukova: Collezione Orler, Santi nell Icona Russa, Treviso 2008.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).

 

Beitragsbild: M. Gessler

tags: Klassizismus, Weltgericht, Russland, Engel, Auktion, Byzantinismus
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