Louis Comfort Tiffany (1848-1933): Fenster aus der ehemaligen May Memorial Unitarian Universalist Church in Syracuse (1903)

Louis Comfort Tiffany (1848-1933) ist einer der bedeutendsten Glasmaler seiner Epoche gewesen – vielleicht ist dieser sein Beitrag zum Himmlischen Jerusalem die wichtigste Glasmalerei in dieser Dokumentation. Was zeichnet einen „großen“ Meister aus? Ich würde sagen, von einem wirklich großen Meister haben wir nicht nur herausragende Einzelwerke, sondern ein großer Meister hat mit seinen Werken einer ganzen Epoche den Stempel aufgedrückt, wie Dürer, Rembrandt, Picasso. Bei Louis Comfort Tiffany dürfte solches zutreffen, noch heute spricht man von Tiffanyglas oder Tiffany-Lampen, selbst wenn diese gar nicht von Louis Tiffany stammen. Louis Comfort Tiffany war gebürtiger New Yorker. Die Grundlagen seiner Ausbildung erwarb er durch ein Studium an der US-amerikanischen Eagleswood Militärakademie in Perth Amboy und durch längere Europa- und Afrikareisen 1866, 1668 und 1970, wo er die großen Sammlungen und Museen aufsuchte. Obwohl ihn anfangs Malerei interessierte, spezialisierte er sich auf Schmuckdesign und Glasobjekte. In Ägypten soll er durch antike Gläser aus den Gräbern der Pharaonen zu seinem berühmt gewordenen Lüster-Dekor inspiriert worden sein; andere Inspirationen entlieh er sich aus der Kunst Japans. 1885 gründete Tiffany in seiner Heimatstadt die „Tiffany Art Glass Company“, für die er als Chefdesigner auftrat, daneben betrieb er auch eine Möbelproduktion. Erfolgreich war er mit den „Tiffany-Leuchten“, deren Schirme größtenteils aus farbigen Glasstücken bestehen, die zuvor in Kupferfolie eingefasst und dann miteinander verlötet wurden. 1882 durfte er mehrere Räume im Weißen Haus ausstatten, ein anderes Meisterwerk war die Tiffany-Kapelle in der Kathedrale von New York, dann sicher auch die Fenster der First Presbyterian Church in Pittsburgh.
Sein Werk für die May Memorial Unitarian Universalist Society ist weniger bekannt, vielleicht, weil es das Bauwerk nicht mehr gibt. Es hat eine bemerkenswerte Vorgeschichte: Um 1825 begannen sich viele Menschen im Raum Boston von der etablierten kongregationalistischen Kirche Neuenglands abzuwenden, um in Syracuse am Eriekanal im Bundesstaat New York eine unitarische Gesellschaft zu gründen. Maßgeblich daran beteiligt war Samuel Joseph May, ein leidenschaftlicher Pastor, Abolitionist und Lebensreformer. Ihm zu Ehren wurde die erste Steinkirche der Gemeinde von 1885 als May Memorial Church (auch Church on James Street) bezeichnet. Im Jahr 1903 stattete Louis Comfort Tiffany diesen Bau mit hochwertigen Buntglasfenstern aus, das Hauptfenster am Altar war ein 335 x 142 Zentimeter großes Kristallfenster.

Gesichert ist sein Name „New Jerusalem window“, unklar ist jedoch, wo genau auf dem Fenster das Neue Jerusalem zu sehen ist, wenn überhaupt. Darüber gibt es drei Sichtweisen. Manche sehen im unteren Bereich drei der zwölf Tore des Himmlischen Jerusalem. Sie scheinen jedoch im Wasser zu stehen, eher handelt es sich um Bögen einer Brücke. Andere entdecken im oberen Bereich zwischen den Wolken eine Sonne und darüber einen kleinen Zionshügel, der am Rand von einem Regenbogen überwölbt ist. Wiederum andere sehen in dem gesamten Fenster lediglich Anklänge an eine Pradieslandschaft, da die unitarisch-universalistische Lehre damals stark auf das Diesseits mit sozialen, moralischen Reformen ausgerichtet war, weniger auf jenseitige Spekulationen.
1964 zog die Gemeinde in eine moderne Kirche an einen anderen Ort von Syracuse. Damals gab es keine Wertschätzung gegenüber dem Jugendstil, so dass der historische Bau mit all seinen Verzierungen in der über Jahrzehnten gewachsenen Inneneinrichtung vernichtet wurden, so auch ein Großteil der Tiffanyfenster. Einzig das Jerusalemfenster konnte gerettet werden. Heute gehört das wertvolle Fenster zur Sammlung des Everson Museum of Art in Syracuse, welches sich auf US-amerikanische Kunst spezialisiert hat.

Vivienne Couldrey: The art of Louis Comfort Tiffany, London 1989.
Alastair Duncan: Tiffany windows, London 1980.
Rüdiger Joppien, Susanne Längle: Louis C. Tiffany. Meisterwerke des amerikanischen Jugendstils, Köln 1999.
The May Memorial Church. An account of its dedication, together with a brief sketch of the origin and progress of the Unitarian Congregational Society of Syracuse, o.O. 2019.

 

tags: Art Deco, USA, Jugendstil, Profanierung
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