Ambrosius Monaco: Hellenistische Weltgerichtsikone (um 1675)

Diese Weltgerichtsikone ist vermutlich um das Jahr 1670 auf der Balkanhalbinsel oder im nördlichen Griechenland im Stil des späten Hellenismus entstanden. Ungewöhnlich für eine Ikone hat sich hier einmal der Maler mit seiner Signatur verewigt: ein orthodoxer Mönch mit Namen Ambrogio Manaco – der Name deutet auf einen Italiener, wo allerdings tausende Mönche so hießen. Neuerer Forschung nach soll es sich um einen Maler gebürtig aus Kreta handeln, der im 17. Jahrhundert in der Republik Venedig nachgewiesen ist. 1678 wurde das Kunstwerk als Geschenk von Andrea Venier an einen lokalen Adeligen Venedigs überreicht. Venedig war damals ein wichtiger Knotenpunkt für den Austausch zwischen der westlichen Kunst und der byzantinischen ikonographischen Tradition in ihren verschiedenen balkanischen, griechischen und kretischen Varianten. Von Venedig aus gelangte die Ikone als Schenkung von Giovanni Maria Possenti an das Oratorio della Carità der mittelitalienischen Stadt Fabriano. Nach Auflösung der Bruderschaft kam das Gemälde in die Kunstgalerie, wo sie sich noch heute befindet (Saal 6).

Das Himmlische Jerusalem ist auf der nur 54 x 49 Zentimeter kleinen Temperamalerei in westlicher Manier unten links zu finden, wo ostkirchliche Weltgerichtsdarstellungen oft das Paradies oder eine Paradiespforte zeigen. Drei Tore sind an jeder Seite der annähernd quadratischen Anlage angebracht. Davon ist das mittlere Tor stets durch einen überhängenden Dreiecksgiebel hervorgehoben. Alle Tore sind mit Wächterengeln besetzt, allein vor dem zentralen Eingangstor rechts ist kein Engel zu sehen, denn dieses ist noch verschlossen. Vor ihm begehren jedoch schon Petrus und zahlreiche Heilige Einlass. Über der Stadt wachen gerade die Toten aus ihren dunklen Gräbern auf, noch weiter oben ruft die Posaune zum Jüngsten Gericht.

Sergio Bettini: La pittura di icone cretese-venziana e i madonneri, Padua 1933.
Claus Bernet: Barock und Rokoko, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 31).
Luigi Serra: La pinacoteca civica ed il museo degli Arazzi di Fabriano, Fabriano 1921.
Giovanna Giubbini: 150 anni della Pinacoteca di Fabriano, Ancona 2014.
Julia González Montanes: Titivillus. Il demone dei refusi, Perugia 2018.

 

tags: Weltgericht, Kreta, Hellenismus
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