Wolf-Dieter Kohler (1928-1985): evangelische Johanneskirche in Rutesheim (1980)
Ein Buntglasfenster der Kirche von Rutesheim bei Leonberg ist ein weiterer Beleg für die neuen Bildmotive und die Suche nach einer neuen Form, jedenfalls hinsichtlich des Himmlischen Jerusalem bei Wolf-Dieter Kohler (1928-1985). Jahrzehnte hat Kohler dabei die zwölf Tore der Stadt thematisiert, ließ die Mitte meist frei und konzentrierte sich ansonsten auf die Christusfigur, die mitunter in einem Fenster gleich drei Mal erscheinen konnte (als Gekreuzigter, als Auferstandener, als Lamm Gottes).
In den letzten Schaffensjahren, von denen Kohler nicht wissen konnte, dass es seine letzten sind, hat er diesen Gegenstand radikal überarbeitet. Rutesheim ist dafür signifikant. Dort hatte nachweislich Robert Simen, der damalige Pfarrer, einen bestimmenden Einfluss auf das ein oder andere Detail. Simen schickte Kohler sogar eigene Entwürfe zu – da in Rutesheim das mittlere Jerusalemfenster merklich anders als seine beiden Nachbarfenster gestaltet wurde, vermute ich hier einen direkten Einfluss des kunstinteressierten Pfarrers.
Ein gewaltiges, rechteckiges Tor steht offen, seine Laibung nimmt fast den gesamten oberen Raum des schmalen Fensters ein. Aus diesem Tor bricht sich der gewaltige blaue Lebensfluss bahn, der unten an zwei Bäumen vorbeifließt. Dieses sind der Baum der Erkenntnis (Altes Testament) und Baum des Lebens (Neues Testament). Beide tragen Früchte in unterschiedlichen Rottönen. Oben ist das Lamm Gottes das dominierende Bildmotiv, nicht allein seiner Größe wegen, sondern vor allem durch Strahlen, die von hier bis zu den Bäumen reichen. Die Tore, die Jahrzehnte von Kohler immer als Blöcke dargestellt wurden, sind erstmalig Rundbögen. Während sie, je nach Lichteinfall, farblos wirken und leicht zu übersehen sind (auch ihre Zahl ist unklar), werden die Edelsteine immer wichtiger. Es sind zwölf Kreise in unterschiedlichen Farben, deren Oberfächenstruktur geschliffene Steine imitiert.
Das Fenster ist in dieser Schönheit von der Gemeinde aus nicht zu sehen. Eine gewaltige Orgel steht vor den insgesamt drei Chorfenstern, von denen das mit dem Himmlischen Jerusalem sich in der Mitte befindet. Die Pfeifen der Orgel ragen steil nach oben, zusätzlich verdeckt ein gewaltiges Kruzifix die Sicht. Die wenigen Aufnahmen, die die Chorfenster vollständig zeigen, stammen von einer Renovierung des Dachstuhls und Innenmaßnahmen von 2016 bis 2018, bei der die Orgel kurzzeitig abgebaut war. Es gibt jedoch einen ungewöhnlichen Weg, das Fenster vollständig zu erleben. Bei meinem Besuch wurde es mir gestattet, in den Orgelkasten zu klettern, wo ein schmaler Pfad direkt bis an das Fenster führt.
Angelika Rühle, Elsbeth Duppel: Johanneskirche … in neuem Glanz. Renovierung 2016-2018, Rutesheim 2018.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.