Wolf-Dieter Kohler (1928-1985): Evangelische Bergkirche von Großengstingen (1963)

Großengstingen war bis in die 1950er Jahre eigentlich eine gewöhnliche, unauffällige Gemeinde auf der Schwäbischen Alb. Das Verteidigungsministerium fällte nach der Wiederbewaffnung der BRD die folgenschwere Entscheidung, in Großengstingen den ersten Kasernenneubau in Baden-Württemberg nach dem Zweiten Weltkrieg einzuleiten. 1962 zog ein Flieger-Versorgungsbataillon in die Kasernen, 1963 folgte ein Raketenartilleriebataillon. Um die Kasernen entstanden Einfamilienhäuser und ganze Siedlungen, Geschäfte und Restaurants, die alle von den Kasernen profitierten. In diesem Zusammenhang ist der Neubau der evangelischen Kirche zu sehen, die den Soldaten und ihren Angehörigen vor allem moralischen Beistand und religiöse Orientierung geben wolle. Die Gemeinde wuchs überdurchschnittlich, an nichts musste gespart werden und es war möglich, für die Verglasung einen, vielleicht den besten Künstler Württembergs der damaligen Zeit zu gewinnen: den Stuttgarter Wolf-Dieter Kohler (1928-1985). Dieser hatte gerade in Salmbach an einem ähnlichen Mehrzweckraum mitgewirkt, und das dortige Bildprogramm wurde hier geringfügig geändert wiederholt. In beiden Fallen war die Manufaktur Emil Gaisser an der Herstellung und dem Einbau der Fenster beteiligt. Am 14. Juli wurden auch die Fenster eingeweiht. Dazu waren nicht nur der Landesbischof, der Militärdekan der Landeskirche und zahlreiche Geistliche der Umgebung angereist, sondern auch politische Vertreter bis aus Stuttgart. Drei verschiedene Chöre wurden in den Festgottesdienst integriert.

Damals war die Helligkeit der Räume oberstes Gebot. Eine linksseitige Glaswand ermöglichte es, tagsüber ohne künstliches Licht auszukommen. Thema ist die Heilsgeschichte vom Anfang bis zum Ende. Vorne ist im Altarbereich das Himmlische Jerusalem dargestellt. Die zwölf Tore der Stadt sind blockartig so aneinandergefügt, dass ein turmartiges Gebäude zu entstehen scheint. Die Rahmungen sind goldgelb, die Füllungen zeigen die unterschiedlichsten Farben und erinnern an das Spektrum der Edelsteine. Links ist eine Taube im Sinkflug vorgesetzt, von der Strahlen des göttlichen Lichts auf die Tore fallen. Zwischen ihnen sind rote Tropfen gesetzt, die an Blut wie auch an das Feuer des Pfingstereignisses erinnern. Unten ist noch ein offenes Grab hinzugesetzt, das auf eine schriftliche Anregung von Pfarrer Martin Scheible zurückgeht. Dieser meinte, die offenen Gräber würden auf die offenen Tore zeigen, Tod und Auferstehung seien die Voraussetzungen für das ewige Leben.
Die Räumlichkeiten sind in keinem guten Zustand. Wie überall geht die Zahl der Gemeindemitglieder und der Gottesdienstbesucher auch in Großengstingen zurück. Ende 1993 war die Garnison Engstingen aufgegeben worden, die Soldaten und ihre Angehörigen zogen weg, was den Niedergang zusätzlich unbeschleunigt. Wurden 1960 am Ort noch 45 Kinder geboren, so waren es ein halbes Jahrhundert in manchen Jahren kein einziges. Die Fenster des Gebäudes sind inzwischen verbogen, entsprechen nicht mehr den heutigen Ansprüchen an Isolierung und sind teilweise zerbrochen.

Evangelische Kirchengemeinde Kleinengstingen: 25 Jahr Bergkirche Grobengstingen, o.O. 1986.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.

 

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