Die Beauftragung für die Neuverglasung der Stuttgarter Hospitalkirche war für Wolf-Dieter Kohler (1928-1985) ein großer Erfolg – der Künstler galt inzwischen als einer der besten, vielleicht der beste Sakralkünstler der evangelischen Kirche Württembergs. Die Hospitalkirche, eine ehemalige Dominikanerklosterkirche, galt vor dem Krieg mit dem Reformationsdenkmal als steingewordenes protestantisches Glaubenszeugnis in der Landeshauptstadt; bei dem langwierigen Wiederaufbau von 1950 bis 1960 konkurrierten verschiedene Konzepte, bis man sich schließlich auf die Architekten R. Lempp und G. Schneeweiß mit ihrer Teilrekonstruktion im Äußeren und minimalistischen Innengestaltung einigen konnte. Bei dem Wettbewerb um die Beauftragung der Buntglasfenster hat Kohler sich hier gegen seinen ehemaligen Lehrer Yelin durchsetzen können und war für das Südostfenster und Südfenster ausgewählt worden. Bei beiden Fenster arbeitete er mit Emil Gaisser zusammen.

Ebenso wie die anderen Fenstern (Steinigung des Stephanus, Pfingsten) ist das Südfenster mit der Darstellung des Himmlischen Jerusalem wenig spektakulär und in keinster Weise experimentell: jeder Betrachter wusste damals sofort, was hier dargestellt ist. Die Komposition wirkt harmonisch und ausgewogen:

Zwölf identische Torblöcke reihen sich um eine Christuserscheinung, die mit dem Erdenball und der Mandorla auf mittelalterliche Vorbilder anknüpft. Solche Traditionslinien waren in der württembergischen Landeskirche ein ungeschriebenes Gesetz, mit Bauhausentwürfen, der Neuen Sachlichkeit oder mit rein abstrakten Werken wäre man nicht in der Vorauswahl gekommen. Kohler konnte sicherlich mehr, aber er musste auf den Geschmack und die Erwartungshaltung der 1950er Jahre Rücksicht nehmen. Doch auch hier setzte er eigene Akzente und bricht mit dem Gewohnten: Erscheinen unter dem Jerusalem Figuren, so sind es traditionell Johannes auf Patmos oder der Engel mit dem Maßstab. Hier ist es auch ein Engel, mit den für Kohler typischen extrem nach hinten gedrehten Flügeln, doch ohne Maßstab, sondern mit einem Weihrauchfass, dass an einer Kette geschwungen wird.

Albert Scholl: Hospitalkirche Stuttgart, München 1976.
Helmut A. Müller (Hrsg.): 500 Jahre Hospitalkirche Stuttgart. Vom Dominikanerkloster zur Kirche in der City, Stuttgart 1993.
Christa Mack: Heiliger Raum. Stiftskirche, St. Leonhard und Hospitalkirche im Mittelalter. Begleitheft zur Ausstellung Heiliger Raum. Stiftskirche, St. Leonhard und Hospitalkirche im Mittelalter; 24. September bis 26. November 2004, Stuttgart 2004.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Wolf-Dieter Kohler, 1928-1985. Leben und Werk, Petersberg 2021.