Matthias Hohner war im 19. Jahrhundert ein führender Musikinstrumentenbauer und hatte in Trossingen die Musikinstrumentenfirma Hohner gegründet. Sein gleichnamiger Sohn expandierte und wandelte die Kommanditgesellschaft um in ein Aktienunternehmen an der Stuttgarter Börse. Viele Jahre engagierte sich der bekennende Protestant Hohner im Kirchenrat der Stadtkirche von Trossingen. Am 20. August 1973 stiftete er aus Anlass seines 75. Geburtstags das neue mittlere Glasfenster im Chorbereich mit dem verbrieften Auftrag, dass es Rudolf Yelin der Jüngere (1902-1991) ausführen sollte.
Die Familien Hohner und Yelin waren eng verbunden, es gab immer wieder Aufträge der Unternehmer an die Stuttgarter Künstler. Allein für die Martin-Luther-Kirche hatte schon Rudolf Yelin der Ältere mehrere Fenster gestaltet, sein Sohn führte dann Glasgestaltungen 1927 (Nordschiff) und erneut 1937 (linkes und rechtes Chorfenster) durch. Es sollte lange dauern, bis auch das mittlere Chorfenster von Yelin bearbeitet werden konnte. Zu den figürlichen Szenen aus dem Leben Jesu erscheint das mittlere Fenster wie ein Kontrast aus einer anderen Zeit, weder die Farben, die Formen und auch nicht die Themen wurden übernommen, obwohl Yelin vermutlich einen Entwurf aus den 1930er Jahren besaß, wie das letzte Fenster hätte gestaltet werden können.
Yelin hat in dem Mittelfenster die Darstellung des Neuen Jerusalem zur Perfektion getrieben. Am Ende seiner Schaffenszeit ist dieses Fenster Höhe- und Schlusspunkt. Noch einmal zeigte er die für ihn typischen Bildmotive und fand noch einmal eine neue, eindrucksvolle Formensprache, die hier auf Kreisen basierte, ähnlich wie zuvor in der Stadtkirche von Leonberg (1964). Die Bildmotive sind von unten nach oben die untergehende Welt, die apokalyptischen Reiter, das Pfingstereignis, Christus Pantokrator, das Neue Jerusalem und das Firmament. Die Motive setzte Yelin hier in gewaltige Kreise, die jeweils ein Motiv umspannen. Es bot sich an, diese auf der schmalen Fensterbahn übereinander zu setzen, womit ein eindrucksvolles, meditatives Gesamtbild entstand. Erzählende Elemente in den Motiven halten sich die Waage mit den Bewegungselementen der gewaltigen Kreise. Die Darstellung Jerusalems füllt einen ganzen Kreis, der besonders hell in den oberen Bereich gesetzt ist. Tore, Häuser und vielleicht auch Stadtmauern wurden ununterscheidbar aneinandergefügt, so dass eine weiße Steinfront auf goldgelbem Untergrund erscheint. Wie meist spielen zwei Elemente bei Yelin keine Rolle: Erstens ist die Stadtmitte nicht gestaltet; wie es in diesem Jerusalem aussieht, bleibt verborgen. Zweitens vermeidet Yelin die Zahl Zwölf, nicht allein bei den Toren, sondern auch bei den Aposteln weiter unter, von denen er nur elf einfügt. Auch die zwölf Perlen oder die zwölf Edelsteine haben bei einem Yelin-Jerusalem keine besondere Rolle.
Fast alle Jerusalemsfenster von Yelin entstanden in Zusammenarbeit mit der Werkstatt Saile in Stuttgart. Dieses nicht. Dieses Mal entschied sich Yelin für die Glasmanufaktur Derix, da diese im nahe gelegenen Rotweil eine neue Produktionsstätte hatte.
August Lämmle: Matthias Hohner – Leben und Werk, Stuttgart 1957.
Reinhart Hohner: Martin-Luther-Kirche Trossingen. Festschrift anlässlich der Innenerneuerung 1973/74, Trossingen 1974.
Reinhart Hohner: Vor 25 Jahren. Die Martin-Luther-Kirche wird renoviert, i: Trossinger Jahrbuch, 1999, S. 195-196.
Reinhart Hohner: Die Kunstglasfenster der Martin-Luther-Kirche. Die christliche Botschaft in leuchtenden Bildern, in: Trossinger Jahrbuch, 2010, S. 147-152.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Rudolf Yelin d. J., 1902-1991. Leben und Werk, Petersberg 2019.