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Adolf Saile (1905-1994): Altarfenster der evangelischen Kirche in Gammertingen (1956)

Bereits im Jahr 1851 wurde in Gammertingen (Schwäbische Alb) eine evangelische Kirchengemeinde gegründet, damals noch in einem überwiegend katholischem Umfeld. Die Gemeinde gehörte damals zum Kirchenkreis der hohenzollerischen Lande der evangelischen Kirche der altpreußischen Union. 1891 wurde dann in Gammertingen eine eigene Pfarrei errichtet. Man traf sich über Jahrzehnte in Privaträumen, bis nach 1945 ein eigener Kirchenbau Thema wurde. 1956/57 wurde dann ein einfacher Bau errichtet, größtenteils unter Mithilfe der Gemeindemitglieder vor Ort.

Von Beginn an war das zentrale Okulifenster über dem Altarbereich der eigentliche farbliche Schmuck, sieht man von wechselnden Paramenten einmal ab. Die Landeskirche empfahl für das Fenster den Glasmaler Adolf Saile (1905-1994), der in Stuttgart eine Glasmanufaktur betrieb, die als die führende in Württemberg galt. Viele namhafte Künstler haben hier ihre Arbeiten ausführen lassen. Hin und wieder entwarf Saile auch selbst Fenster, und seit seiner Mitarbeit an der Stiftskirche Stuttgart (1953/54) hatte er sich einen Namen auf dem Gebiet der Glaskunst gemacht. Es scheint so zu sein, dass Saile immer dann eigene Entwürfe lieferte, wenn es sich um kleinere Gemeinden im Ländlichen handelte, die sich für ihren Neubau keinen großen Namen leisten könnten. So war es auch in Gammertingen.

Das Fenster ist am rechten unteren Rand auf einer blauen Scheibe signiert und datiert. Vollständig umzogen von blauen Scheiben sind drei aneinander gesetzte Tore und ein viertes im oberen Bereich. Diese sind an ihren Seiten mit leuchtenden Steinen besetzt, den Edelsteinen als dem Fundament der Stadt.

Ganz oben bläst eine Figur mit Posaune zum Jüngsten Gericht – meist ist dies, der Johannesoffenbarung gemäß, ein Engel, dem hier allerdings die Flügel fehlen (oder nicht sichtbar sind). Alle weiteren Figuren des Fensters scheinen Frauen zu sein, was damals wie eine kleine Sensation anmutet. Man kennt aus dieser Zeit viele Darstellungen, wo Männer besondere Positionen einnehmen – nicht in Gammertingen. Links (der traditionell „guten“ Seite) finden sich die fünf klugen Jungfrauen mit ihren Fackeln ein, rechts (der traditionell „schlechten“ Seite) die törichten Jungfrauen mit zum Teil verzweifelten Gesichtsausdrücken. Eine der Frauen (dritte Figur rechts außen) ist dabei als Schwarze gezeigt. Die größere Figur in der Mitte erinnert mit ihrem aufgeworfenen Mantel an Maria mit ihren Begleiterinnen am offenen Grab, was hier die offenen Tore der Stadt sind. Diese biblische Figur spielt bei Saile eine besondere Rolle, etwa bei seinem Marienfenster für St. Johannes Baptista in Lautlingen.
Die Figuren, vor allem die Physiognomien, sind eindeutig ein Werke Sailes. Bei dem ungewöhnlichen vierttorigen Jerusalem, mit seinen markanten Steinen und mittelalterlichen Zinnen kann durchaus einer der vielen Auszubildenden (u.a. der Glasmaler Rudolf Yelin, der aber für dieses Fenster nicht in Frage kommt) Verantwortung getragen haben.
2024 kam es zu einer umfassenden Kirchenrenovierung, so dass ich Gelegenheit hatte, die Fenster in ihrem neuen Glanz und ihrer neuen Strahlkraft einzufangen. Besonders gefreut hat es mich, dass der Bau nun als Radwegkirche geöffnet ist, wodurch ich mich mit meinem Rad nochmals besonders willkommen fühlte.

Albert Walzer: Valentin Saile. Hundert Jahre Kunstglaserei und Glasmalerei, Stuttgart, 1868-1968, Stuttgart 1968.
Erich Gurka (Hrsg.): Festschrift zum 25jährigen Jubiläum des Neubaus der Evangelischen Kirche in Gammertingen, Gammertingen 1982.

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tags: Adolf Saile, Schwäbische Alb, Nachkriegskunst, Edelstein, kluge Jungfrauen
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