Ukrainische Weltgerichts-Ikone (16. Jh.)

Wie auf osteuropäischen Weltgerichtsikonen aus der Frühen Neuzeit üblich, ist das Himmlische Jerusalem auch auf dieser Ikone in der Ecke ganz oben links als burgenartige Anlage mit Zinnen sowie einem schmalen Tor eingefügt. Die annähernd quadratische Wandseite des Baus ist ungewöhnlich hoch und lässt die Stadt als Block erscheinen. Auffällig ist ein Schmuckband im oberen Bereich, welches aus schwarzen Bögen besteht. Darüber wurden vier Häuser aneinander gereiht. Sie stehen über der Mauerkante, können aber eigentlich nicht bis auf den Boden der Stadt reichen, sondern es soll lediglich angedeutet werden, dass sich in der Stadt solche Bauten befinden. Belebende Figuren, wie Engel oder Heilige, sind in der Stadt noch nicht zu sehen. Durch die Pforte zwängt sich gerade ein erster Gläubiger hindurch, weitere stehen links an, um die rettende Stadt zu betreten. Die Heiligen rechts haben sich bereits zur anderen Seite gewandt, wo Christus als Richter in einem roten Kreis erscheint.
Die kostbare spätmittelalterliche Ikone wurde im 16. Jahrhundert für die orthodoxe Kirche Ss. Cosmas und Damian in der Region Presov (heute Slowakei) angefertigt. Der Maler wie auch der nähere Entstehungshintergrund (Auftraggeber, Kosten, Aufstellungsort, Motivwahl) sind gänzlich unbekannt, eine brauchbare und verlässliche Forschung zu dieser Ikone gibt es (noch) nicht. Im 20. Jahrhundert war das Kunstwerk auch auf einer Ikonen-Ausstellung der Kirche Santi Sergio e Bacco degli Ucraini in Rom (Piazza della Madonna dei Monti) zu sehen.

Vladimir Codikovič: Semantika ikonografii Strašnogo Suda v russkom iskusstve 15.-16. vekov, Ul’janovsk 1995.
John-Paul Himka: Last judgment iconography in the Carpathians, Toronto 2009.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).

 

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