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Russische Weltgerichtsdarstellung (um 1910 und um 1990)

Diese insgesamt 38 x 31 Zentimeter große Ikone entstand auf Tempera-Basis in Russland. Fachleute datieren sie auf das frühe 20. Jahrhundert. Künstler und Entstehungsort sind nicht bekannt. Die Ausführung ist einfach gehalten und ohne direktes Vorbild aus der Ikonentradition. Insofern ist dieses Kunstwerk ein weiterer Beleg für die These, dass spätestens im 20. Jahrhundert mit neuen Darstellungsformen experimentiert wurde und es keinesfalls so war, dass Ikonenmaler ältere Kunstwerke lediglich kopieren.

In der Mitte wird Christus als Weltenrichter vor einem Regenbogen gezeigt, im unteren Drittel Monster und Höllenszenen, aber auch das alttestamentliche Paradies. Das neutestamentliche Himmlische Jerusalem findet sich in der Ecke oben links auf dem Ausschnitt der Größe 15 x 10 Zentimeter. Dort bildet sich zunächst ein rosafarbener Wolkenkreis, in dem zwei Engel mit Maria auf einem Podest erscheinen. Das eigentliche Neue Jerusalem in Architektur markiert hier einen braunfarbenen Rundturm und einen doppelten Mini-Turm bei dem Wolkenkreis etwa dort, wo ein Uhrenziffernblatt zwei bzw. fünf Uhr anzeigen würde. Unter dem zweiten Bau ist noch ein braunes Rundbogentor angedeutet, welches größtenteils durch eine Heiligenfigur verdeckt ist.
Auf der gegenüberliegenden Seite ist übrigens ein zweiter Wolkenkreis gesetzt. Auch dieser zeigt Spuren von Architektur, etwa bei der Zeigerposition 11 Uhr. Beide Kreise sind im übrigen durch ein Band miteinander verbunden, welches sich von links nach rechts durch das gesamte Bild zieht.
Die Ikone ist insgesamt klein und weist starke Gebrauchsspuren auf. Vermutlich handelt es sich um eine Reiseikone, welche russisch-orthodoxe Christen auf ihrer Flucht Anfang des 20. Jahrhunderts mit in den Westen nahmen. Später tauchte das Werk auf dem Kunstmarkt auf und wurde lange Zeit von dem renommierten Auktionshaus Galerie von Külmer, spezialisiert auf Ikonen, für 1150 Euro (2022) angeboten.

 

Zu der Ikone gibt es ein modernes Gegenstück. Dieses ist um 1990 in Russland angefertigt worden. Auch diese Ikone gelangte in den Westen und wurde über viele Jahre von dem Jackson’s Auktionshaus in Cedar Falls angeboten. Bei dieser Arbeit kann man die Jerusalemarchitektur deutlicher erkennen. Entweder diese Ikone ist eine Kopie der obigen, älteren Fassung, oder beide Werke beziehen sich auf eine dritte, noch unbekannte oder inzwischen auch verloren gegangene Arbeit. Fazit: Die wissenschaftliche Erforschung der Ikonenkunst ist eine internationale Herausforderung und steht noch in ihren Anfängen.

 

Beitragsbild: Galerie Külmer

tags: Auktion, Russland, Reiseikone, Tempera, Wolke, braun, Jackson's Auktionshaus in Cedar Falls, USA
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