Hans Gottfried von Stockhausen (1920-2010): Fenster aus St. Michael in Fürth (1967)

Ein überwiegend in blauen Farbtönen gehaltenes Glasfenster von Hans Gottfried von Stockhausen (1920-2010) findet sich in der evangelischen Kirche St. Michael in Fürth (Franken). Das datierte und signierte Fenster mit drei Bahnen ist eine Stiftung von Johann Rössler, das im Jahre 1963 entworfen und erst 1967 eingebaut wurde. Es zeigt die zwölf Tore des Neuen Jerusalem, die sich um das mittige Gotteslamm gruppieren. Die geschwungenen Formen erinnern an die organischen Werke des Jugendstils, eine solche Arbeit war in den 1960er Jahren eher ungewöhnlich. 
Das Fenster trägt in der Kirche den Namen „Gnadenfenster“. Jedes der zwölf blauen, rechteckigen Tore ist mit sechs weißen Perlen auf rotem Grund verziert. Unter dem Feld mit dem Lamm Gottes ist ein weiteres Feld, welches vielleicht den Lebensbaum zeigt, oder das Wasser des Lebens. Je nach Sichtweise sind Früchte oder Wassertropfen zu sehen. Ganz unten findet man eine männliche und weibliche Figur: Adam und Eva, die nun, nach dem Ende aller Zeiten, im Neuen Jerusalem aufgenommen sind.

Georg Stolz: Die evang.-luth. Pfarrkirche St. Michael in Fürth, München 2007 (2).

 

Zum Künstler:

Hans Gottfried von Stockhausen wurde am 12. Mai 1920 in Trendelburg bei Kassel geboren, seine Vorfahren stammten aus einem traditionsreichen, über Europa verzweigten Adelsgeschlecht. Als Soldat kämpfte von Stockhausen als Infanterist an der Ostfront, unter anderem nahm er an der Belagerung um Stalingrad teil, bevor er in britische Kriegsgefangenschaft geriet und nach Ägypten deportiert und entnazifiziert wurde.
Nach seiner Freilassung studierte er von 1947 bis 1952 bei Rudolf Yelin (1902-1991) an der Stuttgarter Akademie der Bildenden Künste Glasmalerei und Mosaik. Nach seiner Ausbildung führte er sein Atelier auf Schloss Waldenburg, wo er immer wieder auch Ausstellungen seiner Werke für die Öffentlichkeit zeigte. Im Laufe der Jahrzehnte entstanden hier über 500 Kirchenfenster und architekturgebundenen Arbeiten für das In- und Ausland. In den 1950er und 1960er Jahren führte er zahlreiche Werke in evangelischen Kirchen aus, unter anderem:
1953/54: Evangelische Pfarrkirche St. Peter in Oberholzheim: Deckengemälde
1955-1957: St. Katharinen in Hamburg: drei Chorfenster
1957: Evangelische Kirche in Werkel bei Fritzlar: Christus der Weltenrichter
1957 und 1962: Eusebiuskirche in Wendlingen: Chorfenster
1958: Martinskirche in Kassel: fünf Chorfenster
1958: Evangelische Stiftskirche in Stuttgart
1958: Ulmer Münster: Freiheitsfenster
1960: Marienkirche in Flensburg: Chorfenster
1961: Evangelische Stadtkirche in Wolfhagen: drei Chorfenster
1962: Christianskirche in Hamburg-Ottensen: Turmfenster
1962-1966: Stiftskirche in Wetter: Chorfenster
1964: Stiftskirche in Tübingen: vier der Langhausfenster
1965: Christuskirche Marl-Drewer: 13 Fenster
1965: Evangelische Stadtkirche in Leonberg: Meditationsbilder auf den Orgeltüren der Chororgel
1965/66: Evangelische Stadtkirche in Ravensburg: die Chorfenster und das Westfenster des Mittelschiffs
1965: Evangelische Kirche St. Maria zur Wiese (Wiesenkirche) in Soest
1967/68: Evangelische Stadtkirche St. Reinoldi in Dortmund: 22 Glasfenster
1968: Jakobikirche in Kiel: sechs Querschifffenster
1968: Christianskirche in Hamburg-Ottensen: Altarbild Die Anbetung der Erlösten oder Das Loblied der Erlösten
1968 wurde von Stockhausen Leiter einer Klasse für allgemeine künstlerische Ausbildung an der Stuttgarter Akademie, bis er zum 1. Oktober 1971 an den bisher von Rudolf Yelin bekleideten Lehrstuhl für Glasmalerei und Mosaik berufen wurde. Mehrere Jahre wirkte er auch als Prorektor dieser künstlerischen Hochschule. Schon vor seiner akademischen Karriere hatte er das freie Glasbild entwickelt und stellte es nun in den Mittelpunkt seines Hochschulunterrichts. Das farbige Glas nicht allein als gegebenes Material zum Thema, sondern in der „Verwandlung zu einer meditativen Hintergründigkeit“. Er hat auch alte handwerkliche Techniken zur Bearbeitung von Flachgläsern wiederbelebt und neue, bisher unübliche Techniken bei Glasbildern entwickelt. Unter seinem Einfluss ist „Stuttgarter Glas“ zu einem international anerkannten Begriff geworden. Von Stockhausen hat dabei nie die figürliche Darstellung, die Gegenständlichkeit verlassen oder geleugnet, was man gut an seinen späteren Werken ablesen kann, etwa in der Evangelische Dankeskirche in Kiel-Holtenau (Chorfenster), in der Katholischen St.-Johannes-Kirche in Neumarkt in der Oberpfalz (Glasfenster) oder in der Evangelischen Thomaskirche in Leipzig (Thomas-Fenster).
Inhaltlich nehmen seine Bilder häufig biblische Geschichten und Motive aus der antiken Mythologie auf, diese Werke möchten für ihn wichtige Inhalte in eine allgemein verständliche Sprache umsetzen.
Nach seiner Emeritierung 1986 übernahm er 1986 und 1990 Lehraufträge an der Pilchuck Glass School in Pilchuck/Washington (USA), und 1987 einen Lehrauftrag in Edinburgh/Schottland. Nach seiner Emeritierung erhielt er auch zahlreiche Preise und Ehrungen, unter anderem den Esslinger Kulturpreis (1988), die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg (2002) oder die Silberne Brenz-Medaille der Evangelischen Landeskirche Württemberg (2005). Noch mitten im Schaffen an neuen Glasfenstern für die württembergische Landeskirche ist der Künstler am 8. Januar 2010 in Buoch, einem Ortsteil von Remshalden, verstorben.

 

tags: Moderne, Fürth, Hans Gottfried von Stockhausen, Mittelfranken, Stiftung, Adam, Eva, Gnade
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