Manfred Saul (1934-2013): Orgelverzierung aus dem Bonner Münster (1966)

Das Bonner Münster besitzt an der Westseite der Kirche eine imposante Orgel von Johannes Klais mit reichlich ornamentiertem Schnitzwerk. Die Schnitzereien kann man ihrer geringen Größe wegen vom Besucherraum her allerdings nur als Ganzes erfassen. Will man Details erkennen, muss man die Orgelempore betreten.
Mit den dortigen Schnitzereien aus Eichenholz war der Bildhauer und Kunstpädagoge Manfred Saul (1934-2013) von 1962 bis 1966 beschäftigt. Manfred Saul war der Bruder des damaligen Pfarrers am Bonner Münster, Günter Saul. Zu der anfangs umstrittenen Schnitzerei schrieb er: „Dem Werk zugrunde liegt die Vorstellung einer Stufenordnung zeitlicher oder werthafter Art der Schöpfung. (…) Ziel aller Schöpfung ist die Offenbarung der Güte Gottes, wie sie sich letztlich im Geheimnis der Inkarnation darstellt“. Dies kann man auf alles beziehen, da alles Schöpfung ist. Folgerichtig zeigt Saul im unteren Bereich der Orgel, der stofflich-irdischen Zone, verschiedenste menschliche Berufe und Tätigkeiten, die das Gestalten der Schöpfung konkret vornehmen: der Arzt, der Handwerker, der Wissenschaftler, der Händler, der Gelehrte und viele weitere.

Darüber entwickelt sich die geistige, göttliche, himmlische Zone. Hier findet sich neben unzähligen weiteren Schnitzereien auch das Neue Jerusalem. Zwar gibt es mehrfach Darstellungen von Jerusalem, die die Stadt mit einer Orgel zeigen (beispielsweise in einer Kirche in Florida 1995), aber dies ist weltweit die einzige Orgel, die das Himmlische Jerusalem künstlerisch aufgenommen hat. Saul zeigt von der Stadt eine romanische angelehnte Himmelspforte, wie ja auch das Bonner Münster auf einen romanischen Kernbau zurück geht. Gleichzeitig sieht die Pforte mit ihrem giebelständigen Dach wie ein Haus aus. Hinter der Hauptpforte wurden links Bäume und rechts gibel- und traufständige Häuser aneinander gereiht. Die Mauer dazwischen ist wie ein Schiffsrumpf gebogen und erinnert, wie Saul angibt, bewusst an die Arche Noah, die er als Vorbild und Sinnbild einer geretteten Schöpfung sieht.
Dieses Detail ist selbst von der Orgelempore nicht zu erkennen. Es schmückt eine der obersten Halterungen oder Vorsprünge, die an der rechten Seite die äußere Orgelpfeife umfasst. Da dies auf einem Bild besser nachzuvollziehen ist, ist die Position dieses Neuen Jerusalems auf dem Foto rechts oben mit einem roten Pfeil markiert:

Selbst von der Orgelempore aus ist es nicht sichtbar – um es zu sehen, muss man in die Orgel hineinkriechen und sie auf vielerlei Gefahren durchwandern, bis man auf einer Leiter in schwindelnder Höhe dem Objekt zumindest teilweise nahekommen kann. Warum Saul so viel Aufwand betrieben hat für Kunst, die letztlich niemand sehen kann, ist gelegentlich angemahnt aber letztlich nicht beantwortet worden. Vielleicht soll in diesem Fall angedeutet sein, dass die Neue Schöpfung letztlich nicht vollständig sichtbar ist – für viele andere Details dieser Orgel gilt dieser Erklärungsversuch allerdings nicht. Leider habe ich es versäumt, den Künstler zu dieser Frage anzuschreiben; Saul ist am 11. Mai 2013 verstorben.

 Otto Depenheuer: Die Orgel im Bonner Münster, Bonn 1984.
Bernd Fischer: Der Bildhauer Manfred Saul, in: Heimatblätter, 12, 1997, S. 270-279.
Bonner Münster-Stiftung (Hrsg.): Melodie des Lebens. Die Orgel im Bonner Münster, Lindenberg 2005.
Claus Bernet: Große Künstler, großartige Kunst, Norderstedt 2020 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 48).

 

tags: Kathedrale, Bonn, Rheinland, Orgel, Holz
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