Rudolf Yelin (1902-1991): Wandgestaltung der Stadtkirche von Schwenningen (1965)
Die evangelische Stadtkirche von Schwenningen am Neckar besitzt eine Altarwand, die zur christlichen Meditation und Kontemplation auffordern möchte. Diese Wand wurde der tragenden Wand vorgesetzt, anlässlich einer radikalen Neugestaltung des Innenraums von 1963 bis 1965. Hier wie auch anderswo ist der Stuttgarter Bildhauer Rudolf Yelin (1902-1991) gleichsam als Kunstvernichter wie Kunstneugestalter hervorgetreten: Alles Überlieferte aus dem 19. Jahrhundert wurde vernichtet oder an das Heimatmuseum abgegeben. Höhepunkt war jetzt die neue, konsequent monochrone Wand, die Yelin zusammen mit neuen Gegenständen für die Stadtkirche (u.a. den Altar, das Taufbecken und Leuchter) anfertigen ließ. Aus dem Zusammenspiel vier Werke aus verschiedenen Jahrhunderten wurden eigentlich nur noch Yelin-Arbeiten geduldet, allein einige Fenster konnten aus der Zeit vor 1965 gerettet werden. Auch hier hatte Yelin eine vollständige Neuverglasung gefordert, was aber 1965 aus Kostengründen aufgegeben wurde.
Auf der monumentalen Wand sind – aus der Ferne schwer zu erkennen – verschiedene biblische Motive und Geschichten eingezeichnet. Dabei machte Yelin – ungewöhnlich für sein Schaffen – die Konstruktion der Wand sichtbar: Es sind wechselweise horizontal und vertikal gesetzte Lochziegel. Dabei wurden die Steine mit ihrer Öffnung nach vorne gesetzt, so dass eine filigrane, seriell wirkende Oberflächenstruktur erzeugt wird, die ganz vom Kontrast des hellweiß bemalten Steines zu den schwarzen Löchern lebt. Problematischer Nebeneffekt: die Löcher schlucken den Schall und mindern in dem ohnehin karg eingerichteten Kirchenraum zusätzlich die Akustik.
Im unteren Teil zeigt Yelin Christus als Auferstandenen, Segnenden und Einladenden mit ausgebreiteten Armen und gesichtslos als freistehende Figur, über ihm ist das Himmlische Jerusalem mit seinen zwölf Toren angedeutet. Die Tore sind eng aneinander gesetzt, auch übereinander gestellt, so dass kein Raum für Stadtmauern übrig bleibt und es auch nicht möglich ist, einen Blick in die Stadt zu werfen. Die Tore scheinen alle offen zu stehen, was bei den unteren Toren deutlicher zu erkennen ist, dort kann man bei den Toröffnungen die ursprüngliche Wandverkleidung sehen. Im oberen Teil der Wand sind, im Halbrelief, die vier Symbole abgebildet, die den Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes zugeschrieben werden und aus der Apokalypse stammen. Weitere Heilige besetzten den unteren Raum, etwa Mose (mit den Gesetzestafeln), Johannes der Täufer, Paulus oder Stephanus.
Wenn auch das Werk allein von Rudolf Yelin signiert wurde, so hat er bei der Raumausgestaltung mit dem Architekt Christian Schlenker und auch mit seinem Bruder Ernst Yelin (1900-1991) zusammengearbeitet. Beide stammten aus einer württembergischen Künstlerfamilie. Während ihr Vater, der Kirchenmaler Rudolf Yelin der Ältere (1864-1940), und der jüngere Bruder Rudolf Yelin das Neue Jerusalem in ihrem jeweiligen Schaffen öfters dargestellt haben, ist die Altarwand ein seltenes Beispiel für Sakralkunst aus dem Wirken von Ernst Yelin. Ernst Yelin war ansonsten auf Kriegsdenkmäler, Skulpturen für den öffentlichen Raum und auf erotische Kleinfiguren spezialisiert.
Bernhard Lörcher: Erlebte Kirchengeschichte in Schwenningen: 1947-1969, Villingen-Schwenningen 1984.
Michael J. H., Zimmermann: Von Vor-Namen, Bruch-Stellen, Nutzern und Nutzung. Die Schwenninger Stadtkirche, in: Das Heimatblättle. Schwenninger Monatsschrift für Stadtgeschichte und Brauchtum, 46, 10, 1998, S. 6-8.
Siegfried Heinzmann: ‚…was gut sein soll, braucht seine Zeit‘, in: Das Heimatblättle. Schwenninger Monatsschrift für Stadtgeschichte und Brauchtum, 64, 4, 2016, S. 2-3.
Christa Birkenmaier (Hrsg.): Rudolf Yelin d. J., 1902-1991. Leben und Werk, Petersberg 2019.