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Stickmustertücher (Beispiele von 1651, 1680, 1708 und 1797)

Das Motiv „Himmlisches Jerusalem“ findet sich auf einem Stickmustertuch erstmals auf einer Arbeit aus den Jahren 1651 (Detail, Kunstgewerbemuseum Berlin, Inv. Nr. 1891,428). Es ist dort eines der letzten Motive einer Reihe biblischer Gegenstände, wie einen Hirsch oder die Marterwerkzeuge Christi. Das Tuch wurde von unbekannter Hand gestaltet, einen Hinweis mag das Monogramm AMRI bringen, das allerdings noch nicht entschlüsselt ist. Sicherlich hat es bereits lange vor 1651 solche und andere Stickmustertücher gegeben, die allerdings von Motten zerfressen sind, bei Kriegen verloren gingen oder schlicht als altbacken entsorgt wurden.

 

Eine ähnliche Stadtdarstellung zeigt ein Tuch aus dem Jahre 1680 (Detail, Schlossmuseum Jever). Beide Stickmustertücher sind aus Leinen und mit farbigen Seidengarnen in Kreuz- bzw. Augenstich gefertigt. Die Objekte sind bemerkenswert gut erhalten; Nur einige wenige Stiche haben sich im Laufe der Jahrhunderte gelöst. Wer es gefertigt hat, lässt sich nicht mehr ermitteln. Es kann jedoch als sicher gelten, dass es weibliche Näherinnen waren, denn es waren fast nur Frauen bzw. Mädchen, die solche Mustertücher angefertigt haben. Sie dienten dazu, das Sticken von Buchstaben, Zahlen und Ziermotiven zu üben, die später zum Schmücken und Kennzeichnen von Wäschestücken u.a. für die Aussteuer gebraucht wurden. Damit kann gesagt werden, dass viele wohlhabende Haushalte ein kleines Bild des Himmlischen Jerusalem besaßen, es vielleicht aber nicht immer wussten.
Die Geschichte solcher Stickmustertücher reicht weit in die Vergangenheit zurück. Erste schriftliche Belege für ihre Existenz in Europa sind aus dem 16. Jahrhundert bekannt, einige wenige Tücher aus dieser Zeit sind bis heute erhalten geblieben. In Zentralasien hat man jedoch ein noch älteres Stickmustertuch gefunden, welches vermutlich schon um das Jahr 850 angefertigt wurde. Wie alle Textilien bestehen Stickmustertücher aus organischem Material, das mit der Zeit zerfällt. Die vergleichsweise wenigen Exemplare, die von der einst vermutlich sehr großen Anzahl erhalten geblieben sind, haben daher einen hohen Wert für Museen wie für Sammler und sind vor allem für die Kulturgeschichte von Bedeutung.
Über die Jahrzehnte hinweg haben sich das Format, die verwendeten Materialien und Motive nur geringfügig verändert. Ältere Fassungen wurden immer wieder hervorgeholt, um Stickmuster zu kopieren und auf Haushaltstextilien aller Art zu übertragen. Als Zeugnis des handwerklichen Könnens der Stickerin wurde das Stickmustertuch wie ein Schatz gehütet und oft auch an die Nachkommen vererbt. In der Epoche des Biedermeier verlor dann das Stickmustertuch als Vorlage an Wichtigkeit, da nun auch auf Papier gedruckte Stickvorlagen erschwinglich wurden. Die eigenen liebgewonnenen Familienstücke wurden oft gerahmt und an die Wand gehängt. Sie dienten als textiles Zierobjekt, mit dem bürgerliche Frauen ihren Nadelfleiß zur Schau stellten.
Auf den Tüchern sind vorzugsweise religiöse Objekte und Symbole zu sehen. Das Himmlische Jerusalem ist meist rechts unten abgebildet als der neue Ort, den Christus nach der Kreuzigung (meist links neben der Stadt dargestellt) und Himmelfahrt bewohnt. Die schwarz umzeichnete Stadt zeigt sich auf einem grünen Fundament und zwei goldenen Toren, die verschlossen sind. Auf den Dächern der Bauten sind oft Fahnen zu entdecken, die dem Ganzen etwas Spielerisches, etwas Schlossartiges verleihen. Das erste Mal wurde vermutlich die Gottesstadt auf einem süddeutschen Tuch von 1637 gezeigt (Bayerisches Nationalmuseum München, Inv. 29/316), dessen Erhaltungszustand allerdings so schlecht ist, so dass dieses Werk in seinen größten Teilen als Verlust gelten muss. Man fragt sich, warum solche Kunstwerke Jahrhunderte in Haushalten überleben, dann aber in staatlichen Sammlungen nach wenigen Jahren verrotten und unbrauchbar sind.

 

Ein besser erhaltenes Beispiel stammt aus dem 18. Jahrhundert. Es ist eine Kreuzstich-Arbeit aus Wöbbel im Lipper Land, gearbeitet aus Seide auf Leinen und datiert auf das Jahr 1708. Auch hier ist Jerusalem nur ein winziges Detail von 3 x 2 Zentimetern unter vielen anderen Mustern. Gegenüber den beiden 150 Jahre älteren Vorlagen hat sich das Motiv kaum geändert, auch der massive grüne Balken, der das Fundament der Stadt abgibt und den wir schon von dem Beispiel aus Jever kennen, ist wiederzufinden.

 

Ein Kreuzstich aus Süddeutschland von 1761 zeigt, dass das grüne Fundament schmaler wird. Die Fenster sind nun blau; auf den Dächern findet man Wetterfahnen und neuerdings auch Vögel. In dieser Art und Weise wurde die Stadt noch lange tradiert, das belegt auch ein Stich des Himmlischen Jerusalem auf einem Tuch, welches vermutlich aus Meißen stammt und auf 1797 datiert ist (Sammlung D. Kandzi, Bild vorhanden, hier nicht wiedergegeben).

Nina Gockerell: Stickmustertücher, München 1980.
Birgit Brunner-Littmann, Regula Hahn: Motiv und Ornament, Chur 1988.
Eva Mühlbächer: Europäische Stickereien vom Mittelalter bis zum Jugendstil aus der Textilsammlung des Berliner Kunstgewerbemuseums, Berlin 1995.
Gerda Rosenstock, Manfred Rosenstock: Alte Stickmustertücher, Cadolzburg 1995.

 

tags: Niedersachsen, Mikroarchitektur, Muster, Meißen, Sachsen, Vögel
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