Auf russisch-orthodoxen Ikonen mit dem Thema der Höllenfahrt wird überwiegend auch das Paradies mit Abrahams Schoss sowie dem Gerechten Schächer dargestellt. Dass auf einer solchen Ikonendarstellung auch einmal das Himmlische Jerusalem nach dem Apokalypsetext des Neuen Testaments bildlich thematisiert wurde, ist eine besondere seltene Ausnahme. Man findet die Gottesstadt auf dieser Höllenfahrtsikone ganz oben als im Himmel schwebende, goldene Stadt, deren Innenleben nicht so erkennbar ist, da fast alles in die gleiche goldgelbe Farbe getaucht ist (vgl. dazu Fedor Nikitich Rozhnovs Auferstehungs-Ikone von 1699): Engel stehen in den Toren, von denen neun zu sehen sind. Vorne mittig befindet sich das Haupttor, das auch durch einen Dreiecksgiebel hervorgehoben ist. Es scheint offen zu stehen, und ausgerechnet in diesem Tor fehlt der Engel. Die Mauern zwischen den Toren formen ein eigenartiges Gebilde zwischen Kreis und Rechteck. Im Stadtzentrum befindet sich eine palastartige Kirche. Zahlreiche grüne Bäume zeigen an, dass die Paradiesvorstellung des Alten Testaments hier nicht gänzlich verloren ist. Sie sind ordentlich gereiht, wie der Pietismus es liebte, siehe dazu Sinold von Schütz‘ Utopieschrift von 1723.
Die 125 x 81 Zentimeter große Arbeit entstand 1764 in Soligalich, einer Kleinstadt in der Oblast Kostroma. Sie ist noch in anderer Hinsicht außergewöhnlich, denn wir kennen ihre Maler: Es waren die ansonsten nicht weiter hervorgetretenen Brüder Savva Slovenin und Michey Slovenin, die dieses Werk vermutlich für fromme Adelige anfertigten. Heute befindet sich die Malerei im Kloster Ipatios (Kostroma), als Leihgabe des Staatlichen Geschichts-, Kunst- und Architekturmuseums von Kostroma. Dort wurde sie 1991 von G. B. Gubochkinym restauriert.
Natal’ja I. Komaško: Kostromskaja ikona XIII-XIX vekov, Moskva 2004.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).