Paul Thol (1887-1956): Fenster der Christuskirche in Gladbeck (1950)

Die evangelische Christuskirche in Gladbeck im nördlichen Ruhrgebiet wurde durch Bombenschäden 1945 komplett zerstört. Frühzeitig erfolgte der Wiederaufbau. Der Maler und Restaurator Paul Thol (1887-1956) schuf dort von 1949 bis 1950 die Fenster im Seitenschiff aus farbigem Antikglas, Blei und Schwarzlot.
Ein Fensterdetail zeigte eine Kuppelstadt als fernes Ziel für Pilger in Anlehnung an das Motiv im Rahmen der Zweiwegebilder, ein benachbartes Martin Luther im Porträt mit Umschrift und Lebensdaten. Das Jerusalemsfenster ist ein Rundfenster, das in sich selbst die Kreisform in abwechselnd hellweißem und braunem Glas wiederholt. Unten, noch vor der Stadt, steht ein Pilger mit schwarzem Wams und rotem Rock, an der rechten Seite sind weiter hinten zwei weitere Pilger zu entdecken. Mit seiner linken Hand verweist er auf die Stadt vor ihm. Man erkennt schräges Mauerwerk und es sieht so aus, als würde der weitere Weg des Pilgers diese Mauern hochführen. Die Stadt besteht aus eng aneinander gesetzten Bauten, vor allem Türme, und ganz oben einem Kuppelbau. Die Nahsicht zeigt, dass die Bauten mit Ornamenten versehen sind, man findet zahlreiche Fenster, Türen und andere Details. Die Pastelltöne der Architektur erzeugen den Eindruck, als wäre die Stadt aus Edelsteinen oder Kristallen erbaut, was sie scharf von dem kräftigem Blau des Hintergrunds abgrenzt.
Paul Thol hatte 1948 seinen Wohnsitz nach Gelsenkirchen verlegt. Hier war er beim Wiederaufbau von Gelsenkirchen und Hagen leitend tätig, wie auch bei den evangelischen Kirchen in Lüdenscheid, Eisbergen und Gladbeck. Die Arbeit in Gladbeck war eine der frühesten Glasarbeiten nach 1945, die das Neue Jerusalem darstellten, freilich in einer Kunstauffassung, die noch nicht durch die Moderne geprägt war. Als Beispiel für den Wiederaufbau des schwer zerstörten Ruhrgebiets war dieses Glasfenster von besonderer Bedeutung.
Da der Wiederaufbau nach 1945 nur behelfsmäßig durchgeführt werden konnte, kam es nach einem halben Jahrhundert immer wieder zu schweren Bauschäden. Man entschloss sich 2020 zu einer radikalen Neugestaltung. Der Innenraum wurde von den Seitenschiffen abgetrennt und hermetisch abgeschlossen, man konnte zunächst keinerlei Fenster mehr sehen. Die originale Nachkriegsverglasung wurde komplett ausgebaut und durch modernere ernergiesparende Thermopenfenster ersetzt. Auf Glasbemalung wurde verzichtet, aus Kostengründen und weil das Licht nicht mehr direkt in den Kirchenraum fällt, sondern in neu geschaffene Büros, Serviceräume und ein Generationencafe. Bei meinem ersten Besuch 2022 waren alle christlichen Kunstwerke aus dem Kirchenraum entfernt worden, als wäre christliche Kunst etwas, wofür man sich schämen müsste.


Was war mit den insgesamt 36 motivischen Glasfenstern gesehen? Sie wurden glücklicherweise nicht vernichtet, sondern zunächst eingelagert. Inzwischen kam es zu Protesten und Unzufriedenheiten mit dem kahlen Raum, so dass man sich zu einer Art Rechristianisierung entschloss. So wurde in den Innenraum doch ein dezentes Kreuz eingesetzt, und 24 der historischen Fenster wurden an den Seiten angebracht. Sie mussten zuvor von einem Restaurator aus der ehemaligen Fassung gelöst werden, konserviert werden und bekamen eine neue Rahmung. An Ketten wurden sie in Vierergruppen aufgehängt. Dabei orientierte man sich jedoch nicht an der ehemaligen Reihenfolge, sondern setzte neue Akzente.

Vorne rechts entstand so eine Gruppe mit Motiven zur Apokalypse, neben dem Himmlischen Jerusalem auch die Himmelspforte und Alpha und Omega. Hier erstaunt, dass auf der Sichtseite irrtümlicherweise die Buchstaben falsch gesetzt wurden, nämlich Omega und Alpha. Will man es richtig lesen, kann man jetzt einen Nebenraum betreten und die Fenster von ihrer Rückseite betrachten, was früher nach außen zur Straßenseite zeigte.

 

tags: Gladbeck, Ruhrgebiet, Nachkriegskunst, Wiederaufbau, Pilger
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