Auferstehungsikone aus dem Nationalen Kunstmuseum von Weißrussland (17. Jh.)

Diese Ikone ist keine „typische“ russische Ikone, sie entstand mehr nach westlichen Vorbildern und Einflüssen als nach östlichen Vorläufern. Sie zeigt das Himmlische Jerusalem pars pro toto durch eine Pforte, wie man es von Weltgerichten des Mittelalters oder Kunstwerken der Reformationszeit her kennt. Ein unbekannter Meister hat sie im 17. Jahrhundert in der weißrussischen Gemeinde Dsisna am Ufer der Düna geschaffen. Das 143 x 95 Zentimeter große Kunstwerk wurde aus der dortigen orthodoxen Auferstehungskirche in den 1970er Jahren in das Nationale Kunstmuseum von Weißrussland in die Hauptstadt nach Minsk gebracht. Dort wurde die Ikone von Arkady Shpunt und Peter Zhurbay gesäubert und restauriert. Doch selbst heute noch sind Spuren der schweren Zerstörung erkennbar, vor allem der vergoldete Hintergrund ist zum Teil abgeblättert.

Die Temperamalerei zeigt direkt über dem Kopf von Christus eine einfache Himmelspforte – eine in der Sakralmalerei ungewöhnliche Position. Bei der Pforte kann man auf dem Original einzelne Mauersteine ebenso erkennen wie selbst die unterschiedlichen roten Dachschindeln. Sie steht offen, aber Menschen sind hier nicht zu sehen (außer sie sind an dieser Stelle durch Beschädigung verloren gegangen). In Form und Farbe ist es keine zeitgenössische Barockpforte, sondern der Meister orientierte sich, wie auch bei anderen Details des Gemäldes, an Vorbildern der Renaissance. Über der Pforte schwebt eine blaue Kugel, die an der rechten Seite ebenfalls Schaden erlitten hat. Diese Kugel könnte einerseits die Erde darstellen, andererseits auch den Knauf als Bekrönung der Dachspitze ausmachen. Derart ungewöhnliche Proportionen wären keine Seltenheit, da auf Malereien Menschen, Häuser und anderes gleichzeitig in ganz verschiedenen Größen aneinandergereiht werden konnten, man denke etwa an die unterschiedliche Größe von Heiligen.

Claus Bernet: Pretiosen des Ostens: Ikonen, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 36).

 

tags: Weißrussland, Auferstehungskirche, Tempera, Himmelspforte
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