Elke Hirschler (geb. 1942), Marie-Luise Thieler-Ehlerding: „Die Entscheidung des Menschen“ (1998)

Zu den Schätzen der niedersächsischen Klöster Wienhausen und Lüne gehören die in der Technik des Klosterstichs gestickten mittelalterlichen Bildteppiche. Auf lockerem Leinengewebe wird ein etwa fünf Zentimeter langer Teil eines Wollfadens mit kleinen Überfangstichen desselben Fadens befestigt. Faden neben Faden gelegt, wird allmählich die gesamte Musterfläche ausgefüllt. Viele, die zum ersten Mal im Klosterstich ausgeführte Teppiche sehen, halten sie für gewebt. Diese Technik der Flächengestaltung ist im Kloster Mariensee durch die damalige Äbtissin, Frau Barbara Bosse-Klahn, seit 1979 in zahlreichen Kursen wieder belebt worden. Viele Interessierte haben sich die Technik angeeignet, unter anderen auch Elke Hirschler (geb. 1942 in Hildesheim). Seit 2006 setzt sie im Kloster Wienhausen diese Tradition fort, als Lehrerin für Textiltechnik.


An dem Teppich „Die Entscheidung des Menschen“ arbeitete Hirschler von Sommer 1995 bis Anfang Dezember 1998. Am 5. Dezember wurde das Antependium feierlich eingeweiht. Der Entwurf, so verrät es eine Plakette auf der Rückseite des Textils, geht zurück auf die Dipl.-Designerin Marie-Luise Thieler-Ehlerding. Beide Künstlerinnen hatten damals ihren Wohnsitz in Hannover, wo das Antependium entstanden ist.

In der Mitte der 180 x 90 Zentimeter großen Näharbeit steht der Mensch. Er kann sich entscheiden zum Bösen (Höllenschlund rechts) oder zum Guten (Himmlisches Jerusalem links). Die Stadt wird einerseits durch einige Bauten im oberen Bereich dargestellt, Vorbild waren Frankfurter Bauwerke, wie der Römer oder der Messeturm. Sie stehen auf einem gewaltigen Himmelstor in blauer Farbe. Nicht alles ist zu erkennen, da eine schwungvolle Engelsfigur vor diesem Tor steht. Die Szene wird durchdrungen vom Licht der Wahrheit, des Geistes, des Göttlichen, welches von rechts oben einstrahlt. Es fällt auch auf die zahlreichen menschlichen Figuren, die hinter dem Engel durch das Tor drängen.
Das Werk fand seinen Aufstellungsort als Antependium im Chor der barocken Kirche in Hodenhagen, Landkreis Soltau. Diese Kirche in Hodenhagen wurde um 1480 im Chorraum und hinter dem Altar mit Fresken ausgemalt. Sehr schwach kann man noch (mit Vorwissen) das Himmlische Jerusalem links mit Petrus und einigen Geretteten davor erkennen. Diese spätmittelalterliche Ausmalung hat die Künstlerin des Antependiums laut ihrer eigenen Aussage in ihrem Entwurf aufgegriffen und in eine moderne Bildsprache übersetzt.

Das Antependium zeigt neben dem Jerusalem auch andere Motive in individueller, einzigartiger Bildsprache. Man findet einen Baum in menschlicher Gestalt mit einem roten Herz, zwei Pferde mit menschlichen Köpfen, einen chinesischen Drachen und zwei Figuren mit Janusköpfen. Offensichtlich war die Gemeinde mit dieser eigenwilligen Darstellungsweise überfordert oder unzufrieden; das Antependium war jedenfalls schon kurz nach seiner Einführung nicht mehr in Gebrauch und wird öffentlich nicht mehr gezeigt. Bei meinem Besuch haben wir über die Qualität der Arbeit diskutiert und es wurde versprochen, die Entscheidung zu überdenken und das Kunstwerk eventuell zeitweise wieder aufzuhängen.

 

tags: Wandteppich, Niedersachsen, Himmelspforte, Engel
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