Aus der Nikolauskirche des Dorfes Poliana (Solnechnaya Polyana, Samara Oblast, Südrussland) stammt eine Ikone, die sich heute im Nationalmuseum von Krakau befindet (Inventarnummer Ic 25). Entstanden ist die 182 x 144 Zentimeter große Temperamalerei einst im 16. Jahrhundert, die näheren Umstände sind nicht bekannt. Wie bei russisch-orthodoxen Weltgerichtsdarstellungen üblich, ist auf dem Gemälde links unten eine Paradiesdarstellung mit einer Paradiespforte zu finden und links oben das Neue Jerusalem mit einer Himmelspforte als Gegenpunkt. Die Pforte ist als Rundbogen ausgeführt, mit einem kleinen roten Walmdach und einer Zwiebelkuppel als Bekrönung. Vor dieser Pforte steht nicht etwa der Heilige Petrus, wie auf westlichen Darstellungen dieses Sujets, sondern Christus mit einer Schriftrolle, dem Buch des Lebens. Zu seiner rechten Seite sind männliche und weibliche Heilige versammelt, zu seiner linken Seite findet sich eine Gruppe von Engeln mit großen Flügeln und prächtigen Gewänden. Vor allem die Physiognomien der Figuren sind sorgfältig und detailreich wiedergegeben, im Gegensatz zu der malerischen, reduktionistischen Darstellung der Architektur. In der Literatur zu dieser Ikone wird angegeben, dass die Architektur und Figuren von unterschiedlichen Künstlern ausgestaltet worden sind, deren Namen oder Herkunft offen bleibt. Von der Engelsgruppe abgegrenzt steht Maria, die um den Einlass der Heiligen in die rettende Stadt bittet. Die eigentliche Stadt hinter dem Torturm besteht aus wenigen Architekturkompartimenten, die individuell in roter, gelber und grüner Farbe ausgeführt sind. Vor allem das Russischgrün ist charakteristisch für diese Ikone.

Michel Quenot: La résurrection et l’icone, (Paris) 1992.
Vladimir Codikovič: Semantika ikonografii Strašnogo Suda v russkom iskusstve 15.-16. vekov, Ul’janovsk 1995.
John-Paul Himka: Last judgment iconography in the Carpathians, Toronto 2014.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).