Georg Steyger (1564-1638): Schalldeckel der Kanzel in Quedlinburg (1595)
Seltenheitswert dürfen auch Schalldeckel in Form des Himmlischen Jerusalem beanspruchen. Ein besonders schönes Stück ist derjenige der Marktkirche St. Benedikti zu Quedlinburg, ein Meisterwerk der Mikroarchitektur. An der Hallenkirche wurde vom 12. bis zum 15. Jahrhundert gebaut; und die Kanzel wurde zu ihrer Komplettierung 1595 im Stil der Spätrenaissance vom Quedlinburger Bildschnitzer Georg Steyger (1564-1638) hergestellt. Von Steyger ist nicht wirklich viel bekannt, außer vielleicht, dass er eine Leidenschaft für solche Kanzeln hatte. Denn auch in St. Stephani in Helmstedt (um 1597) und dann 1623 in der evangelischen Marienkirche in Wolfenbüttel brachte Steyger Darstellungen des Neuen Jerusalem an Kanzeln an.
In Quedlinburg haben wir also das früheste erhaltene Beispiel. Zu dieser Zeit erfuhr die Wortpredigt durch den Protestantismus eine neue Bedeutung, was ein Grund dafür ist, dass jetzt auf kunstvolle Kanzeln mehr Wert gelegt wurde. So auch in Quedlinburg, was schon 1539 zum Luthertum wechselte.
Auf einer Stufe vor der eigentlichen Stadtdarstellung stehen mehrere nackte Putti und Krieger in Kartuschen. Die plastischen Holzfiguren stellen Wächter dar, die die Stadt bewachen, freilich auch für etwas Leben sorgen und die Fantasie (etwa bei trockenen Predigten) beflügeln. Darüber erhebt sich pyramidal die eigentliche Stadt. Die Stadttürme mit den offenen Toren sind auch vom Kirchenschiff aus gut zu sehen. Es sind zwölf Tore, drei an jeder Himmelsrichtung. Dahinter wurden verschiedene Wohnbauten und Türme aufgestellt, wobei einer der Türme leider umgefallen ist. Über dem Zentrum thront Gott in einer Wolke und segnet sein Werk.
Die originale farbliche Fassung dieses Schalldeckels hat sich nicht erhalten. Die jetzige Präsentation ist die Folge einer Renovierung und Neugestaltung im Jahre 1885.
Joachim Wolf: Die Marktkirche St. Benedikti in Quedlinburg, hrsg. von der Evangelischen Kirchengemeinde St. Blasii-Benedikti Quedlinburg in Verbindung mit dem Rheinischen Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz, Köln 1997.
Claus Bernet, Michael Foerster-Espirel: Das Himmlische Jerusalem in der Renaissance, Norderstedt 2012 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 5).