
Selbstverständlich entwickelt sich die Ikonenmalerei auch in jüngster Zeit weiter und profitiert seit 1989 von Kontakten in den Westen; viele modere Ikonen sind in den letzten außerhalb von Russland, so in den USA und Kanada, entstanden.
Diese Arbeit aus dem Jahr 2009 orientiert sich von den Bildmotiven her an spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Ikonen. Sie stammt von dem Maler und Schriftsteller Vsevolod aus Riwne in der Ukraine. In der oberen Hälfte einer insgesamt 135 x 87 Zentimeter großen Gerichtsdarstellung ist Petrus dabei, das Himmelstor aufzuschließen. Ungewöhnlich für diesen Darstellungstyp ist, dass sich diese Pforte nicht in der Mitte befindet, sondern leicht nach links versetzt. In der Mitte befindet sich ein Turm mit einem sich verjüngendem Dach in Dreiecksform, auf dem ein lateinisches Kreuz und ganz oben eine Taube zu sehen sind. In diesem Bauwerk schwebt die Heilige Maria, von der eigenartiger Weise die Beine fehlen oder nicht zu sehen sind. Rechts davon ist ein ähnliches Bauwerk wie die Pforte angefügt, vor allem aus kompositorischen Gründen. Die Mauerpartien sind immer wieder vegetabil verziert, wie auch die beiden Flügel der erwähnten Pforte mit Ornamenten versehen sind. Auch an Personen mangelt es nicht: neben Maria sehen wir vor der Pforte Petrus, der gerade dabei ist, sie mit einem Schlüssel zu öffnen. Ihm gegenüber spielt ein Engel auf der Harfe, auch an anderen Stellen sind auf diesem Kunstwerk Engel dabei zu musizieren. Links und rechts stehen über der Mauer Engel, die das Firmament aufrollen. Es erscheinen nicht nur Sterne, die Sonne und der Mond (in einem bemerkenswerten Zackenstil!), sondern auch Christus (links) und Gottvater (rechts). Erst jetzt versteht man den vollständigen Sinn der Taube: es handelt sich hierbei um eine Trinitätsdarstellung.
Claus Bernet: Ikonen des Weltgerichts, Norderstedt 2015 (Meisterwerke des Himmlischen Jerusalem, 37).