
Schwester Gertrude Morgan (1900-1980): „New Jerusalem 24 Elders 48 Angels“ (1960er Jahre)
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Claus Bernet
- Dezember 1, 2021
Von der Nonne Gertrude Morgan gibt es eine ganze Reihe von Zeichnungen in Tinte oder Bleistift, und Malereien in Acryl und Mischtechniken aus den späten 1950er bis frühen 1970er Jahren, die alle das Neue Jerusalem darstellen. Sie sehen alle recht ähnlich aus, unterscheiden sich aber in der Farbe. Jerusalem wird meist als mehrstöckiges Haus, annähernd quadratisch, mit vielen Wohnungen dargestellt. Horizontale und vertikale Linien lassen ein Raster entstehen. In den Wohnungen ist gelegentlich Mobiliar zu entdecken, im Außenbereich finden sich mitunter Tischtennisanlagen und Gemüsegärten. Fast immer grenzt das Jerusalems-Gebäude bis nahe an den Bildrand, an dem meist Heerscharen von weißen Engeln den Hintergrund ausfüllen.
Gertrude Morgan (1900-1980) stammt aus Lafayette, Alabama, und wuchs als Afroamerikanerin in ärmsten Verhältnissen auf. Sie arbeitete als Musikerin, Malerin und Sängerin. In den 1950 Jahren will sie von Gott den Ruf zur Malkunst erhalten haben und machte sich ohne Vorkenntnisse ans Werk. Hunderte von Bildern entstanden in kurzer Zeit, auf Papier, Pappkarton und sogar Toilettenpapier – alles wurde bemalt. Ihre Bilder benutzte sie teilweise bei ihren Predigten, um Ungebildete besser erreichen zu können, bei denen sie in einer Art weißer Uniform als Braut Christi auftrat, oftmals mit Gitarre. Innerhalb kürzester Zeit wurde sie in den Südstaaten zur Kultfigur der Hippiebewegung. Nach ihrem Tod 1980 wurde sie von einem fulminanten Bestattungszug durch New Orleans getragen, und dann anonym auf einem Friedhof weit außerhalb der Stadt begraben.
Ihre Werke befinden sich meist in Privatsammlungen wie der Sammlung Selig und Angela Sacks, der Sammlung Jaffe, der Sammlung Martha Ann Samuel Christopher und Jane Botsford oder Kurt Gitter & Alice Rae Yelen. Bei Versteigerungen kann man gelegentlich neue ihrer Jerusalems-Arbeiten entdecken. In den letzten Jahren wurden ihre Werke auch vermehrt von staatlichen Museen angekauft, wie dem Philadelphia Museum of Art, dem American Folk Art Museum in New York, dem New Orleans Museum of Art
Das hiesige Beispiel stammt aus dem Louisiana State Museum in New Orleans. Es hat den Titel „New Jerusalem Court, Gloryland St.“, ist aus Acrylfarben und Tinte gearbeitet und kommt auf eine Größe von 33 x 33 cm. Die undatierte Arbeit wird von dem Museum auf die 1960er Jahre geschätzt. Es ist eine typische Morgan-Arbeit, die die Stadt als Haus mit acht Stockwerken zeigt, in dem zahlreiche Wohnungen untergebracht sind. Dazwischen schiebt sich eine rote, eine blaue und eine gelbe Treppe. Unten bilden zahlreiche weiße Kästchen ein rasterartiges Fundament, nach oben ist der Bau leicht gerundet, als hätte er eine graue Kuppel aufgesetzt bekommen. Im Gegensatz zu anderen ihrer Werke wurde hier auf die Beigabe von Menschen, Engeln oder Tieren verzichtet.
Louisiana folk paintings: Bruce Brice, Clementine Hunter, Sister Gertrude Morgan, New York 1973.
William A. Fagaly (Hrsg.): Tools of her ministry. The art of Sister Gertrude Morgan, New York 2004.
Lynn R. Huber: Thinking and seeing with women in Revelation, London 2013.