Johann Geiler von Kaysersberg (1445-1510): Geistliche Schifffahrt (1512 und 1708)

Nicht immer musste der Lebenslauf eine Pilgerwanderschaft sein, auch eine maritime Pilgerfahrt war vorstellbar – im Spätmittelalter ergab sich daraus eine regelrechte Literaturgattung mit zahlreichen Ausgaben verschiedenster Autoren. Einer davon war Johannes Geiler von Kaysersberg, seine Werke gelten als bedeutendste Zeugnisse volkstümlicher deutscher Erbauungsliteratur vor Martin Luther.
Geiler von Kaysersberg hat sich auch mit dem Thema der Pilgerschaft beschäftigt und dazu 1512 in Straßburg seine Schrift „Das schiff des heils“ vorgelegt: Pilger erreichen aud Seite XXIIII nach langer Fahrt das Ufer samt dem Himmlischen Jerusalem. Sie werden nun von Engeln in Empfang genommen. Rechts wird ein Pilger von einem der Engel zum Stadttor geleitet, das als gotischer Turm mit reichlich Maßwerksarbeiten ausgeschmückt ist. Leider ist der Turm im oberen Bereich abgeschnitten. Im Himmlischen Jerusalem sitzen neben einem Brunnen heilige Frauen, über denen die Krönung Mariens zu sehen ist. Zurück geht die „Geistliche Schiffahrt“ auf den Quadragesimalzyklus „Schiff der Pönitenz“ (Navicula penitentie) von 1501/02 (gedruckt posthum in Latein 1511, erster Druck in Deutsch 1514). Diese Predigtserie aus dem Straßburger Münster setzte der Verfasser bewusst als Gegenkonzeption zum Narrenschiff, in dem alle den Untergang entgegen segeln.

 

Der Text des Johann Geiler von Kaysersberg stieß mit seinen durchaus eigenwilligen Vorstellungen vom Himmlischen Jerusalem bei seinen Zeitgenossen auf große Popularität, was wenig verwundert. In der „Geistlichen Schiffahrt“ (Augsburg 1708) wird der sonst gängige Topos des ansteigenden Pilgerwegs zu der hochgelegenen Gottesstadt unterhaltsam variiert als eine stürmische Seefahrt, die nach vielen Gefahren und dem drohenden Untergang der „Seepilger“, im Hafen des Neuen Jerusalem sicher und glücklich endet.
Sonderbar wie die äußere Handlung sind auch viele Einzelheiten, mit denen das Himmlische Jerusalem dem Leser näher gebracht wird. Die Gottesstadt wird zur Stätte der Wollust: „Verlangst du Wollust und Ergötzlichkeiten? So befinden sich selbige in der höchsten Vollkommenheit so vieler subtiler, höher und reiner, als der Verstand über die leiblichen Sinnen (welchen auch das Vieh hat) erhoben ist (…)“. Kaysersberg wird noch genauer, denn er besitzt ein ganz spezielles Wissen von den himmlischen Zuständen der Wollust, des Tanzes und der Speisen: „lauter Oster-Fladen, dann diese werden gemacht aus Milch und Rahm, aus Eyer-Dottern (…)“ usw. Es ist kein Zufall, dass die wortgewaltige Predigt zur Zeit des Barock unter dem illustren Titel „Geistliche Schiffahrt aus Schlaraffen und Welt-Affen-Land oder aus Narragonien zu dem geliebten und gelobten Land nacher Jerusalem: das ist Geistlich-sittliches Buß-schifflein zu dem himmlischen Jerusalem unseren wahren Vatterland“ von Lutheranern erneut aufgelegt wurde. Inhaltlich ist es aber ein echtes Phantasieprodukt, das mit der ursprünglichen Schrift Kaysersbergs aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert nicht mehr viel gemein hat.

Dietrich Schmidtke: Geistliche Schiffahrt. Zum Thema des Schiffes der Buße im Spätmittelalter, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur, 91, 1969, S. 357-385; 92, 1970, S. 115-177.
Uwe Israel: Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510). Der Straßburger Münsterprediger als Rechtsreformer, Berlin 1997.
Mateusz Kapustka: Retoryka homiletyczna w obrazie. Illustracje do ‚Das Schiff des Heils’ Johannesa Geilera von Kaysersberg (wyd. 1512), in: Ewa Chojecka (Hrsg.): Marmur dziejowy = Historical marble: Studia z historii sztuki, Poznań 2002, S. 81-92.
Rita Voltmer: Wie der Wächter auf dem Turm. Ein Prediger und seine Stadt. Johannes Geiler von Kaysersberg (1445-1510) und Straßburg, Trier 2005.

 

tags: Pilger, Kupferstich, Barock, Humanismus, Schiff, Pforte, BSB München
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